Elbe-Radtour 1999
1.Tag - Montag, 24. Mai
Die diesjährige Tour ist für mich eine Premiere, da ich meinen Bruder nicht zur Mitfahrt bewegen konnte. So will ich denn mal ausprobieren, wie man so alleine die Kilometer abreisst. Es geht mal wieder (!) in Hohnstorf (hinter Lauenburg) los, wo wir erst 16:10 Uhr nach einer quälenden Fahrt (in der Stadt mal wieder die üblichen Staus) eintreffen. Schon nach einer halben Stunde bin ich abmarschbereit und verabschiede mich 16:50 Uhr (endgültig?) von der Familie, die die Gelegenheit wie immer zu einem kleinen Ausflug nutzt. Das Wetter ist so, wie man es sich eigentlich zu solchen Gelegenheiten nicht wünscht: Der Himmel ist vollständig grau bedeckt, es geht ein leichter Wind, immerhin ist es einigermaßen warm. Gut motiviert fliege ich dahin und erreiche nach einer Stunde bei Km 21,5 das rote Schloss in Bleckede, wo mir prompt die Familie noch einmal über den Weg fährt. Zum Glück hat das Café im Schlosspark nicht auf, sonst wäre ich bestimmt ganz aus dem Tritt gekommen. So verabschiede ich mich nach letztem Klönschnack um 18:10 Uhr endgültig (!), jetzt bricht auch mal die Sonne durch. Obwohl ich diesen Abschnitt nun schon kennen sollte, verliere ich um 18:30 Uhr aufgrund von verwirrenden, widersprüchlichen Beschilderungen den rechten Weg. Also fahre ich der Nase nach weiter, eine Schotterpiste endet im Nichts, und bei Alt-Garge gibt es (wie gewohnt) auch noch einige Irrungen. Schliesslich stehe ich um 18:45 Uhr bei km 31,5 vor der Kälteanlage Astra. Hier bin ich wieder richtig! Als nächstes passiere ich gegen 19:00 Uhr Walmsburg bei km 37. Hinter Drethem habe ich zur kleinen Aufmunterung ätzende Steigungen (bis 13%) zu bewältigen, natürlich muss ich am Ende doch absteigen. Am Parkplatz beim Aussichpunkt Kniepenberg hole ich nur einige Sekunden Luft, bin jetzt schweißgebadet (19:35 Uhr, km 48,5). Eines merke ich schon jetzt - wenn man allein unterwegs ist, macht man weniger und kürzere Pausen. Es ist hier auffällig still, kaum Autos sind unterwegs. Und weil man so gern Fehler wiederholt, folge ich bei km 53 kurz vor Hitzacker dem verlockenden Schild, daß nach rechts in den Wald weist. Immerhin finden sich hier die Fledermausquartiere, die ich schon vor ein paar Stunden vermutet, nicht gesehen und dann abgeschrieben hatte. Kaum im Wald, traktiert mich stechsüchtiges Mückengezücht. Schon nach kurzer Zeit führt der ansonsten sinnlose Schlenker schliesslich wieder an die Hauptstraße. 20:05 Uhr (km 55,9) passiere ich Hitzacker. Aufgrund der fortgeschrittenen Stunde beschliesse ich, die landschaftlich sehr schöne, aber ziemlich umwegige Elbschleife über Landsatz usw. auszulassen, ich radle stattdessen nach Dannenberg. Hier waren wir noch nicht, ich sehe mich kurz um und rufe Tina und die Eltern an. Jetzt muß ich aber rasch weiterkommen, schließlich will ich wieder an die Elbe heran und mir ein vernünftiges Nachtlager suchen. In Langendorf gönne ich mir um 21:30 Uhr ein Eis (habe ich das nicht mit Andy vor einigen Jahren genau hier auch gemacht?). Seit einiger Zeit, ich mag es kaum eingestehen, sind meine Beine bleischwer, und ich habe kaum noch Lust und Power. War es vielleicht doch etwas heftig für den ersten Tag? Kurz vor zehn habe ich endgültig keinen Antrieb mehr; ich biege bei km 79,6 entgegen besseren Wissens in den schmalen Waldstreifen links der Straße (zur Elbe hin) in einen zunächst vielversprechenden Weg ein. Leider findet sich hier eine Art Jagdhütte; außerdem ist wegen des Wassers enorm viel Gezücht unterwegs. Also fahre ich hilflos ein Stück weiter durch den Waldstreifen, der hier allerdings immer schmaler wird. Hinter etwas Gestrüpp zu einem Kornfeld hin baue ich gegen 22:00 Uhr das Zelt auf, es wird jetzt schnell dunkler. Als das Zelt bereits steht, kommt mal wieder ein Auto vorbei und erst dadurch bemerke ich, wie nahe die Strasse wirklich ist - es sind nur einige 10 Meter. Nachdem ich das Zelt noch ein paar Mal hin- und herschleppe, finde ich mich mit der Sachlage ab. Zum Essenmachen habe ich nun keine Lust mehr, vertilge nur noch ein paar Fertigvorräte. Schnell werden alle Sachen ins Zelt geworfen und das Fahrrad abgedeckt. Der Mond wirft fahles Licht ins Zelt. Wegen des Kornfelds nehme ich vorsorglich eine Tablette. Meine Beine sind völlig verkrampft und steinhart - man ist eben zunehmend nichts mehr gewohnt!
Fahrstrecke:...........83,5 km
Nettofahrzeit:.........4:19 Std.
Ø Geschwindigkeit:..19,3
km/h
Gesamtstrecke:.......83,5
km
2.Tag - Dienstag, 25. Mai
Nach zunächst überraschend raschem Einschlafen wache ich hin und wieder auf, da der Boden etwas abschüssig ist und es andauernd (am Zelt?) raschelt - was man sich denn immer so einbildet. Gegen 04:00 Uhr muss ich mal kurz aus dem triefend nassen Zelt treten...6:20 Uhr, es ist nun hell und einige Autos sind schon wieder unterwegs, schäle ich mich endgültig schwitzend aus dem Schlafsack, zu meinem eigenen Erstaunen bin ich sogar tatsächlich recht wach. Im Zelt ist alles klamm, der Boden teilweise richtig nass. Da die Sonne wieder nicht zu sehen ist, hat es keinen Sinn lange auf Trocknung zu warten, ich fange lieber gleich mit dem Gepacke an. Das zieht sich hin, da gestern alles etwas unorganisiert und hektisch war. Nur nicht den Schwung verlieren jetzt. 7:15 Uhr sitze ich wieder auf dem Bock und fahre zunächst ohne Frühstück los. Die zuverlässigsten Begleiter jeder Radtour, die Stechmücken, sind auch schon wieder mit von der Partie. Nach wenigen Metern an der Hauptstraße passiere ich einen von rechts aus dem Wald kommenden Asphaltweg. In diesem Waldstück hatten wir früher einmal ein (wesentlich angenehmeres) Nachtlager gefunden. Wiederum kurz danach stoppe ich an dem Holzaussichtsturm (auf der andere Elbseite lt. Karte der Ort Besandten) und nehme hier gleich einen kleinen Frühstückssnack (fette Würste und was so übrig ist). Der nicht sehr hohe Turm überragt die umliegenden Bäume kaum mehr. Natürlich hätte ich auch hier gestern mein Zelt aufschlagen können (ebener Rasen, Mülleimer, Bänke, alles da); aber offensichtlich war ich bereits nicht mehr im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, sonst hätte ich die paar Meter noch locker abgerissen. Egal, jetzt geht es ja weiter. Um 7:55 Uhr durchquere ich bei km 7,7 das berüchtigte Gorleben, bei immer noch etwas unangenehm kühlen Gegenwind. Hier ist echt der Hund begraben, immerhin gäbe es Bäcker und Edeka, die ich aber jetzt nicht brauche. Heuer fahre ich lieber entlang der Straße - und spare mir den zeitaufwendigen und unübersichtlichen Schlenker über Laasche/Restorf (zur linken weit entfernt ein hoher Funkturm) - direkt nach Gartow (km 15,5 08:20 Uhr). Nun will ich aber doch ein richtiges Frühstück. Bei einem Bäcker vertilge ich zwei Salzlaugenbrötchen, eine Käsestange und einen Kaffee, der allerdings sofort den Drang zu einem Toilettengang auslöst. Also geht's 08:45 Uhr weiter. Einen entsprechenden Versuch um 09:00 Uhr muß ich wegen ungeheuerlichen Mückenterrors abbrechen. Da wir uns letztesmal im Grenzdreieck Schnackenburg ziemlich vertan hatten, will ich den Ort gleich links liegen lassen, und orientiere mich ostwärts Richtung Stresow. Zum Überfluss werde ich jetzt erstmalig vom Heuschnupfen traktiert. Mitten auf dem Acker findet sich eine Grenzgedenkstätte mit allerlei Infos (09:20 Uhr). Hier mache ich erstmal ein paar Aufnahmen, was aber auch wieder nur Ärger auslöst, da die Minox irgendwie nicht richtig zu transportieren scheint: entweder kann nach zweimaligem Transportieren nicht ausgelöst werden, oder es kann ohne Auslösen erneut gespannt werden. Hoffentlich ist der Film nicht verloren! Im weiteren Verlauf (bzw. Nichtverlauf, denn viele Wege enden im Nichts) ist die Orientierung im Nu verloren, und ich folge lieber erstmal (den allerdings sehr bald wieder ausbleibenden) Schildern Elberadweg. Endlich gelingt auch der Spatengang; wie immer zu solchen Anlässen, begegne ich nur wenige Meter entfernt in dieser ansonsten menschenleeren Gegend recht zwielichtigen Typen, die hier parken und grillen. Bloß weiter! Durch die ganzen Zwischenstopps komme ich jetzt überhaupt nicht mehr richtig voran. Außerdem lande ich mangels vernünftiger Orientierung nun doch noch in Schnackenburg, also wieder viel zu weit nördlich (10:00 Uhr, km 30,2). Hier wechsle ich erstmal den Film. Vor lauter Verzweiflung versuche ich, Andy per Handy zu erreichen, was aber nicht gelingt. Nur nicht verzagen, irgendwo muß ja der Weg weitergehen. Tut er auch - allerdings nur ein kurzes Stück, um 10:25 Uhr ist schon wieder Schluss, unmittelbar an der Elbe. Kann ich keine Karten lesen? Auch der Radwanderführer kann mir hier mit seinen pauschalen Beschreibungen nicht weiterhelfen, zumal dort die andere Richtung beschrieben wird. Das Gerüttel auf den üblen buckligen Plattenwegen raubt mir zusätzlich den letzten Nerv. Wo soll hier bloß eine offizielle Fahrradroute verlaufen? Lächerlich! Die großmaßstabige Routenabbildung im Führer ist hier absolut unbrauchbar, die detaillierte Karte ist hier zu Ende. Vielleicht hätte ich mich doch ernsthafter vorbereiten sollen. Was sind das hier dauernd für Wasserarme - das ist doch gar nicht die Elbe? Ich fahre entlang irgendwelcher Deiche, kehre wieder um, überquere eine riesige Kuh-Wiese, auf der kein Fahren mehr möglich ist, und nähere mich dem Zustand des Durchdrehens. Um 11:00 Uhr erreiche ich einen größeren Wasserarm, das ist nun aber definitiv die Elbe, und die Stelle kommt mir irgendwie seltsam bekannt vor. Nun erreiche ich auch Andy - geteiltes Leid ist halbes Leid. Schnell ein Stück auf dem Deich entlang, aber da kann man ja auch nicht fahren; aha, hier geht's rechts rein. Aber was ist denn das für ein Weg? Hier haben Sie wohl Grizzly-Bären durchgejagt. Jetzt erkenne ich: diesen Weg sind wir damals aus der anderen Richtung bis an die Elbe herangefahren, kamen dort nicht weiter und sind dann umgedreht. Tatsächlich: Hier standen wir damals auch herum und wußten nicht recht weiter. Rings herum Plattenwege, demontierte Funksprechanlagen und andere Hinterlassenschaften der Grenztruppen. In Sichtweite sind mehrere größere Teiche. Da muß ich Andy glatt noch einmal anrufen, aber so genau weiß er auch nicht mehr, wie wir hier damals wieder wegkamen. Ich wähle dann aber doch den richtigen Weg und gelange, über nicht mehr zu beschreibende und ertragende Betonplatten-Skelette und Brocken eiernd, endlich aus dem unübersichtlichen Grenzberitt heraus, nachdem ich mehr als anderthalb Stunden dort verloren habe. 12:00 Uhr erreiche ich bei Km-Stand 48,8 das Örtchen Wahrenberg, jedenfalls nehme ich das an, denn ein Ortsschild sehe ich nirgends. Meine Getränke sind fast alle, aber hier ist natürlich kein Geschäft. Zwanzig Minuten später, bei Tachostand 53,9 - hinter mir liegen wieder mal Plattenwege - fahre ich an der Straßenbrücke nach Wittenberge vorrüber, daß 12:30 Uhr genau gegenüber liegt. Hier haben wir damals die Seite gewechselt; da ich jetzt südlich der Elbe weiterfahre, beginnt ab nun unbekanntes Terrain. Die Wegweisung an der Brücke ist unübersichtlich, ich komme zu weit an die Eisenbahnbrücke heran. Wieder keine Schilder und keine Orientierung. Ich komme nicht umhin, eine ältere Dame zu befragen, die hier rüstig mit einem Rad unterwegs ist. Bei km 56,1 wird die letzte Getränkedose vertilgt. Angesichts des heutigen Chaos' und des Anblicks der dumpfgrauen, geschlossenen Wolkendecke notiere ich: nie wieder eine Radwanderung im Mai. Vielleicht sollte man eher im September aufsatteln. Seit der ehemaligen Grenze, das kommt dazu, habe ich auch noch keinen Laden und keine Kneipe gesehen, keine vernünftigen Straßen und keine Schilder. Km 60,5, 13:00 Uhr; vermutlich bin ich jetzt in Steinfelde (wieder keine Schilder) und notiere: unvorstellbare Wildwest-Dörfer. Die einzige potentielle Getränkequelle, Mein Laden, ist um diese Uhrzeit natürlich dicht. Nächste Station ist Beuster. Hier herrscht etwas mehr Leben. Obwohl die Verlockung da ist, fahre ich an einer etwas dubios wirkenden Restauration an einer Kirche vorbei Richtung Seehausen. Hier weist ein Pfeil nach rechts, also biege ich nach links. Endlich, 13:40 Uhr, nach immerhin auch schon wieder 71,1 Kilometern, kann ich die Imbißbude Königs Bistro/Kiosk in Schönberg ansteuern. Diese Gelegenheit lasse ich natürlich nicht ungenutzt. Ich gönne mir eine Currywurst mit Pommes, etwas zu Trinken und ein Eis, und versorge mich notdürftig mit neuen Getränken. Passend dazu lockert die Bewölkung auf und die Sonne kommt ab und zu durch. Schon geht's mir wieder besser. 14:00 Uhr treibt es mich weiter, ich versuche noch, Tina aus einer Telefonzelle zu erreichen. Aufgrund der Erfahrung mit den Versorgungsmöglichkeiten steuere ich noch das Miniatur-Geschäft Muttis Laden an und ergänze die Vorräte um zwei Dosen und Wasser. Zwischendurch nieselt es etwas, aber irgendwie ist meine Laune jetzt besser, und ich radle stoisch weiter: 14:30 Uhr, km 80,0 - Wendemark, 14:45 Uhr, km 83,3 Stadt Werben. Ich befinde mich jetzt etwa auf Höhe des uns bekannten Gnevsdorfer Vorfluters, wo die Havel abzweigt und die Elbe nach Süden abknickt (Havelberg liegt nicht mehr allzuweit südlich, auf der anderen Elbseite). Auf einer Bank in einem kleinen Park mit Kinderspielplatz, Würstchenbude usw. gönne ich mir eine kleine Erholung. Als Auffälligkeit notiere ich, daß sich hier in jedem kleinen Ort Hand-Wasserpumpen in den Vorgärten befinden (ich probiere sie aber nirgends aus...). Schon wieder habe ich Hunger, verdrücke einen Snickers und eine Dose Sprite aus meinen Packtaschen. Eine viertel Stunde später treibt es mich weiter, und schon wieder sprüht es vom Himmel, aber auch diesmal ist der Regen nur von kurzer Dauer. 15:10 Uhr sehe ich - endlich! - wieder einmal Schilder, diesmal mit Altmark/Elberadweg beschriftet. Ich passiere den Abzweig zur Elbefähre Räbel, und in Berge verspüre ich beim Km-Stand 89,9 um 15:25 Uhr schon wieder das Bedürfnis nach einer kleinen Pause. Von der Elbe habe ich übrigens seit Schnackenburg (!) nichts gesehen! An einem kleinen See wird pausiert; ich mische mir ein neues Quensch-Kirsch-Getränk zurecht (schmeckt super - leider die letzte Tüte) und kippe es sofort - der Durst ist groß, dauernd könnte man trinken. Die Vorräte werden bereits wieder knapp. 15:45 Uhr wird der Blaue See fotografisch festgehalten und der Film gewechselt - die Kamera arbeitet immer noch nicht vernünftig; ich schätze, jedes zweite Bild wird wohl nichts werden. Der Weg führt (recht ereignislos) weiter über Büttnershof (Km 95,5, 16:05 Uhr); immerhin zeigt sich jetzt zunehmend häufig die Sonne und ich kann bequem auf einem gut ausgebauten Radweg rollen. Die Ruine einer Backsteinkirche links des Weges reizt meine Neugier; das sehe ich mir genauer an (16:10 Uhr bis 16:30 Uhr). Hier war früher das Gut (Dorf) Käcklitz, aber davon ist jetzt nichts mehr zu sehen. 1968 sind die letzten Einwohner abgewandert. Die an einer russischen Aufmarschroute bzw. in einem Manövergebiet liegende Kirche wurde nach dem Krieg mehrfach als Heerlager mißbraucht und entsprechend verwüstet. Vorwärts rolle ich, mit sorgenvollem Blick auf meinen leicht eiernden Vorderreifen und zwei gigantische Kühltürme eines ehemaligen Kernkraftwerkes. Der immer noch gut ausgeschilderte und neu gepflasterte Radweg führt in einem großen Schlenker um das Kraftwerk, das immer in ziemlichen Abstand bleibt, herum. Die 100 Km-Marke erreiche ich 16:35 Uhr - mir tut der Hintern weh - und 16:40 Uhr klärt mich ein Gedenkstein über den preussischen Oberst York auf, der im Gefecht bei Altenzaun am 26.10.1806 siegreich gegen die Franzosen kämpfte. Weitere fünf Minuten später kann ich der Versuchung nicht widerstehen: Ich nutze die Wasserpumpe auf dem Kirchfriedhof eines ehemaligen Ritterguts zur Waschung und Erfrischung von Armen, Beinen und Kopf. Das tut gut! Natürlich bleibe ich hier nicht ungestört, aber die Friedhofsbesucherin läßt mich ungeschoren. Jetzt wandelt sich auch die Landschaft wieder nach meinem Geschmack - hier könnte man direkt sein Zelt aufschlagen (nur nicht um diese Uhrzeit). Bei Hohenberg-Krusemark fahre ich mal wieder kurzzeitig in die falsche Richtung (Schilder!?). Mein Versuch, Tina telefonisch zu erreichen, scheitert. Wieder passiere ich schöne übernachtungsfähige Waldstücke, aber es ist ja immer noch viel zu früh - ich bin wohl heut zu einem neuen Km-Rekord verdammt. Bei Km 113,6 stehe ich um 17:55 Uhr in Arneburg vorm NP-Markt (habe ich da was gekauft - ich weiß es nicht mehr). Das Kilometerfressen geht jedenfalls weiter. Endlich taucht auch mal die Elbe in einiger Entfernung wieder auf. Der zwischenzeitliche leichte Nieselregen kann meine Stimmung nicht mehr groß trüben. Weniger erbaulich ist allerdings der von mir in Billberge (18:30 Uhr) vermutete Wald, hier wird es wohl nix mit Zeltaufschlagen. Zudem ist der Uferbereich seit einigen Kilometern als militärischer Sicherheitsbereich deklariert (Vorsicht Blindgänger usw.). Einen vielversprechenden Feldweg nach rechts in den Wald lasse ich auch sausen, obwohl das nächste Waldgebiet erst ca. 20 km hinter Tangermünde liegen dürfte. 18:55 Uhr unterquere ich eine ICE-Trasse auf der Höhe Stendal (nähe Hämerten); just in dem Moment donnern ICEs in beide Richtungen vorrüber. Hier in der Nähe wäre es also eh nichts mit ruhigem Schlaf. Schon 19:10 Uhr bin ich in Tangermünde Das ist die erste größere Stadt seit einiger Zeit. Ich notiere: qualmende Industrie, Gestank, Lärm, mehrere urige Restaurants, Fachwerkhäuser, Kirchen, Stadttürme usw. - am Ende ist es doch ganz interessant hier, jedenfalls knipse ich ein paar Fotos. Da nun 131,5 Km abgerissen sind, sollte ich mich auf den Endspurt für heute machen, bevor mir die Kräfte schwinden (wie gestern). Natürlich verliere ich hier im Ort zunächst mal wieder die Beschilderung, finde aber dann doch nach der Nase wieder den Anschluß (hoffe ich - jedenfalls stimmt die Richtung). Ein Holzaussichtsturm am Wegesrand bietet willkommenen Anlaß, einmal das Handy zu aktivieren, und so berichte in Andy und Tina kurz von meiner Situation. 20:15 Uhr passiere ich Buch bei Km 142,4, sehe zwar immer noch keine Schilder, aber das Übernachtungsgebiet ist nun unmittelbar vor mir. Weiter, weiter, noch durch Jerchel hindurch und ab in den Wald. 20:40 Uhr stehen die Räder still für heute. Der Platz ist zwar nicht optimal (sehr lichtes Kiefernterrain an einem Kornfeld, viele Mücken), aber nu ist schluss. Ich habe tatsächlich noch den Antrieb, mir etwas zu kochen (irgendwas von Pfanni) und ein wohlverdientes Hasseröder zu kippen, bevor ich mich im Dämmerlicht an den Zeltaufbau wage. Im Verlaufe des Herumgewurschtels höre ich nun schon zum zweiten Mal einen sehr lauten Gewehrschuss durch den Wald hallen. Weit kann das nicht weg sein; das Ganze wird untermalt durch lautes Hundegebell. Sehr beruhigend. Durch Anstrengung, Bier und nahes Kornfeld ist meine Nase total dicht, also rein mit der Tablette. 22:05 Uhr mache ich die Taschenlampe aus. Mit der heutigen Bilanz kann ich wohl zufrieden sein.
Fahrstrecke:...........147,4 km
Nettofahrzeit:.........8:47 Std.
Ø Geschwindigkeit:..16,7 km/h
Gesamtstrecke:.......230,9 km
3.Tag - Mittwoch, 26. Mai
4:30 Uhr schrecke ich hoch - wieder hat es laut gekracht. Ich hatte eigentlich vor - wegen der gestrigen (Über?)Anstrengung - etwas später aufzustehen. Bevor ich mich um 8 Uhr aufraffe, wache ich noch einige Male auf. Den Schlafsack habe ich nur noch als Decke benutzt; das Zelt ist leider schwitz-nass. Jetzt wird es aber auch Zeit, gestern war ich schließlich zwei Stunden eher auf den Beinen! Endlich scheint auch mal die Sonne vom blauen Himmel. Mit dem letzten Wasser reinige ich die Pfanne (pfui); gestern hatte ich dazu absolut keinen Nerv mehr. Jetzt habe ich nur noch eine Fahrradflasche, die mit Quensch Typ Apfelsine-Mandarine verunreinigt ist. Wie üblich spare ich mir das Frühstück für später auf, um 9:30 Uhr endlich mal loszukommen. Bevor ich losradle, sehe ich mich noch mal hier um, denn wahrscheinlich verschlägt es mich kein zweites Mal an diesen Flecken. Los! Nach 3,8 km habe ich in Grieben die Gelegenheit, meine Übernachtungs-Mülltüte loszuwerden. Leider muß ich die Sonnenbrille aufsetzen, weil aufgrund des Windes meine Augen tränen. Nächste Station ist um 10:00 Uhr Bittkau. Wie im auch im zuvor passierten Ort fallen mir diverse fliegende Händler auf; hier handelt es sich um eine Vietnamesin (?) mit stilechtem Chinesenhut. Schon eine viertel Stunde später passiere ich bei km 10,2 die nächste Häuseransammlung namens Polte; laut Karte geht es heute auch zunächst in diesem Stil weiter. Endlich habe ich auch die Elbe mal wieder kurz im Blickfeld. Um 10:25 Uhr sichte ich in Ringfurth erneut fliegende Händler, das scheint hier wohl so üblich zu sein (kein Wunder - Geschäfte sind auch kaum zu sehen). Die Ortsdurchquerungen gestalten sich etwas anstrengend, da der Straßenbelag regelmäßig aus derben Pflastersteinen besteht. Eine viertel Stunde später begutachte ich das Elbe- und Schifferdenkmal in Sandfurth (Stein, Anker und Schraube). Hier wäre eigentlich der richtige Ort und Zeitpunkt für ein Frühstück mit Kaffee - aber nichts findet sich. Mittlerweile ist die Sonne richtig stechend, bei leichtem Gegenwind. Einige 100m weiter gebe ich die Hoffnung auf, noch irgendwo einen Bäcker zu finden, und nutze die an der Straße gelegene Jausen-Station. Unterhalb der Uferböschung glitzert das Wasser eines Elb-Seitenarmes, lautes Froschgequake ist zu vernehmen. Da ich heute morgen versäumt habe, Kaugummi bereitzulegen, muß ich umständlich die ganze Seitentasche durchkramen, um an den untenliegenden Waschbeutel zu kommen. Organisation ist alles! Da die stark von Kornfeldern geprägte Landschaft und der Wind bereits Anzeichen von Heuschnupfen hervorrufen, nehme ich lieber auch gleich noch eine Kortisontablette (rezeptfrei aus Spanien...) - ein paar Tage wird das wohl sicher mal gehen. Eine halbe Stunde gönne ich mir insgesamt, wobei ein Großteil der Zeit mit Rumgepacke verbracht wird. Im nächsten Ort, Kehnert, man glaubt es kaum, sichte ich einen Laden! Hier schwenkt der Weg abrupt nach rechts, um einen großen Bogen um größere Elb-Ausbuchtungen und einige Seen zu machen, und führt über Bertingen in ein schönes Waldgebiet. Ein Schild sehe ich hier nicht mehr, also folge ich der Straße durch den Ort hindurch. Und weil sie so schön ausgebaut ist, komme ich zügig voran, bis ich zum Glück mal wieder einen Blick in die Karte werfe - ich muß eine Weggabelung verpasst haben! Es hilft nichts, kehrt marsch. Aha, hier am Kinderheim zweigt noch eine Straße nach rechts ab - die müsste eigentlich die richtige Route schneiden... aber ich will nichts riskieren und fahre den gesamten Weg zurück bis nach Bertingen hinein. Hier (Unter den Eichen) sehe ich jetzt auch das Hinweisschild - vorhin habe ich genau an dieser Stelle zufällig in die andere Richtung gesehen! Kurz darauf komme ich tatsächlich wieder am Kinderheim vorbei (also war meine Vermutung über die Abkürzung des Umweges vorhin doch richtig...ist wohl nicht mein Tag heute.). Nach diesem Umweg von 3-4 km geht es die nächste Zeit durch herrlichen Wald. Wer diese Wege allerdings mit herkömmlichen Fahrrädern befahren wollte, hätte sehr schlechte Karten (von Elbe-Radweg kann man hier eigentlich kaum sprechen). Immerhin zeigt der Tacho um 11:10 Uhr 30,1 zurückgelegte Kilometer - es gab schon Touren mit einem solchen Tages-Etmal... Vom Imbiß am Sandkrug sehe ich lediglich das Hinweisschild an einer Straßenkreuzung. Nächster markanter Punkt ist die Eisenbahn-Beschrankung mit Wärterhäuschen mitten im Wald bei Angern-Rogätz um 12:20 Uhr; wahrscheinlich werden die Schranken hier nur einmal im Jahr für die Waldarbeiter geöffnet; sie dürften aber ihren Sinn haben, denn genau in diesem Moment donnert schon ein Güterzug vorbei. In Kontrast zur Beschreibung im Radwanderführer verläuft der nun folgende Weg nicht schnurstracks, sondern in einem Schlenker nach Rogätz (12:45 Uhr). Der Ort macht seltsamerweise einen mediterranen Eindruck auf mich (Brachflächen, staubige Wege, viele verstreute weiße Gebäude, Autowerkstätten, unterstützt vom gerade herrschenden Sonnschein). Im NP-Markt werden Wasser, Wurst, Skorpa und Schokolade ergänzt, schon 13:00 Uhr sitze ich wieder auf dem Sattel. Mir fällt noch ein Schlecker-Drogerie-Markt ins Auge, dann führt mich die Beschilderung direkt zu der hier verkehrenden Elbfähre. Da in meinem Wanderführer der Weg diesseits der Elbe weiterverläuft, kann ich mich jedoch nicht zur Elbquerung entschließen. Das bereue ich schon wenig später, weil es nun erstmal an Hauptstrassen stupide und mit Gegenwind weitergeht. Hinter Kornfeldern am Horizont erheben sich riesige Tafelberge aus Sand oder Gips, die ich lange Zeit aus verschiedenen Winkeln im Blickfeld behalte. 13:50 Uhr gehe ich hinter einer Ohre-Brücke (hinter Loitsche?) einer seit Stunden unterdrückten, aber nun nicht mehr aufzuschiebenden dringenden Tätigkeit nach, ohne allzuviel Rücksicht auf die Einsichtigkeit zu nehmen. Kaum fertig, nähert sich ein Traktor (typisch). Es geht dann entnervend und mit Gegenwind auf der Straße weiter. Als ich bei km 55,2 um 14:25 Uhr in Hindenberg anhalte, läuft mir der Schweiß in Strömen herunter; die Sonnenglut ist im Fahrtwind besser zu ertragen. Bis zum Schiffshebewerk ist es jetzt nicht mehr weit, ich muß nur noch den rechten Weg finden. Das geht schneller als erwartet, schon eine viertel Stunde später beim km 58,1 erreiche ich mein vorläufiges Ziel, die Siedlung Schiffshebewerk bei Magedburg-Rothensee. Das ganze Areal ist jetzt eine Großbaustelle, eine Informationstafel erläutert die komplizierten Umgestaltungsmaßnahmen (Überquerung der Elbe durch den Kanal usw.), die wohl noch einige Jahre und Millionen in Anspruch nehmen werden. Eine Telefonzelle für meine Erfolgsmeldung sichte ich nicht, jedoch ein Imbißbüdchen mit freundlicher Bedienung und sonnenbeschirmten Tischen. Ich erliege der Versuchung einer frisch gegrillten Currywurst (leider nicht mit Hela-Currygewürz-Ketchup...), ordere gleich noch eine und dazu Cola. Von meiner weiteren Route habe ich momentan nur ziemlich diffuse Vorstellungen, so studiere ich erst mal in Ruhe die (großmaßstabigen Auto-)Karten. Zunächst werde ich dem Mittellandkanal Richtung Nordwesten folgen; einige vielversprechende Waldgebiete sollten dann irgendwo bei Wolfsburg (also noch sehr weit entfernt) auftauchen. 15:35 Uhr marschiere ich weiter, zunächst über brutale Pflastersteine durch schönen Wald direkt am Kanal entlang, entferne mich dann aber völlig von diesem. 16:05 Uhr erreiche ich, die Bahnlinie und dann die Ohre schneidend, den Ort Wolmirstedt, der dank seiner zahlreichen 10stöckigen Hochhäuser und stark frequentierter vierspuriger Straßen unangenehmes Großstad-Flair verbreitet. 16:40 Uhr notiere ich bei Meseburg 72,3 zurückgelegte Kilometer (nach nervigen Straßungen), und bin immer noch meilenweit vom Kanal entfernt. Um 17:15 Uhr überquere ich vor Haldensleben, km 80,1, den Kanal auf einer Straßenbrücke, und gelange so auf die südliche Seite. Die LKWs sind nur noch schwer zu verkraften, ich befürchte ernsthaft Gehörschäden. Von oben sichte ich tatsächlich den erhofften Wirtschaftsweg direkt am Kanal, aber auf dieser Seite komme ich nicht herunter, es liegen Bahngleise dazwischen. Über Umwege gelange ich doch zum linksseitigen, überwucherten und holprigen Uferweg, der aber kurz darauf (17:45 Uhr, km 84,4) an einem Polizeiboot-Hafen endet. In Haldensleben ergänze ich Getränke im Plus-Markt und vertilge sofort einen Spezi, überquere wiederum (mehrmals?) den Kanal. Als kräftezehrend erweisen sich die vielen Straßenbrückenunterquerungen, weil der Weg jedesmal durch Treppen unterbrochen wird (absteigen!). 18:30 Uhr notiere ich bei km 91,5 auf der Höhe von Bülstringen (?) im schönsten Sonnenschein: das vorherrschende Gefühl ist der Durst. Schon wieder kippe ich einen Iso-Drink. Diverse Binnenschiffe ankern am gegenüberliegenden Ufer. Die Fahrt ist über die letzten Kilometer etwas mühsam und abenteuerlich verlaufen, jedoch ist mir das nach dem vorhergehenden Straßenhorror egal. Bei km 94,0 passiere ich den Schwarzen Pfuhl (außer diesem Namen ist mir aber mittlerweile entfallen, um welche Art Attraktion es sich handelte), hier wäre ein sehr schönes Areal zum Nächtigen, aber wie üblich ists mindestens eine halbe Stunde zu früh. Über das tote Kaff Wieglitz (km 97, 19:00 Uhr) verlasse ich vorrübergehend das große Waldgebiet und steuere eine viertel Stunde darauf die Waldgaststätte Grieps kurz vor Calvörde an. Hier kann ich mich ausruhen und etwas essen, das erspart das umständliche Hantieren im Wald; außerdem kann ich mich anschließend sofort in den umliegenden Wald schlagen. Ich bestelle Schweineschnitzel und ein großes Radeberger. Ob ich hier wohl übernachten wolle, werde ich gefragt, und ich überlege wirklich ernsthaft, ob ich dieser Versuchung nachgeben sollte (schon der Gedanke an eine heisse Dusche ist äußerst verlockend). Ich möchte mir dann aber doch das besondere Touren-Feeling, wozu auch die Zeltübernachtungen gehören, nicht kaputt machen und begnüge mich lieber mit Speis und Trank. Auf einer etwas längeren Tour wäre diese Gaststätte, umgeben von Wiesen und Bäumen, aber sicher der Ort der Wahl für eine längere Pause zum Regenerieren! Mir ist nicht ganz klar, welchen Weg ich gleich einschlagen sollte (die 1:250.000-Karte ist wirklich wenig hilfreich), so komme ich mit der Bedienung noch kurz darüber ins Gespräch. Sie empfiehlt, direkt in den Naturpark Drömling hineinzuradeln, da wäre sicher überall eine Gelegenheit zum Zelten, und beschreibt recht genau, wo ich erstmal längsfahren muß. Von diesem Naturpark habe ich übrigens bis eben noch nie ein Wort gehört. Um 19:55 Uhr raffe ich mich zur Weiterfahrt auf. Die Beschreibung der Bedienung erweist sich als zutreffend: Nach Durchquerung des Zentrums von Calvörde überquere ich hinter der Straße mit dem lustigen Namen Zum Gänsefleck die Ohre (wie mir scheint, heute zum 10. Male...), um dann nach links in den Drömling vorzustoßen. Bei km 104,2 versuche ich um 20:10 Uhr Tina aus einer Telefonzelle im Ort Berenbrock anzurufen (um mal wieder mit den Kilometern anzugeben?), leider erfolglos. Die Suche nach dem passenden Nachtquartier ist - wie so oft - etwas mühsam. Soll ich nach rechts biegen und entlang der Ohre weiterradeln? Oder geradeaus, den Mittellandkanal überqueren und in den dahinterliegenden Wald? Ich entscheide mich für letzteres, da hier die Ohre überwiegend von wenig verlockenden, eingezäunten Feuchtwiesen und Weiden umgeben ist. Irgendwo finde ich schließlich ein schönes Plätzchen, aber bereits 10m weiter steht ein portabler Ansitz, also lieber weiter. Eine zweite lauschige Stelle liegt zwar gut sichtgeschützt unmittelbar am Kanal, aber der Mückenterror ist kaum auszuhalten. Gegen 21:30 Uhr und einem weiteren erfolglosen Versuch habe ich jetzt keinen Antrieb mehr, weiterzufahren. In hügeliger Landschaft schlage ich das Zelt im Gras zwischen einigen Kiefern und Eichen am Rande eines Kornfeldes auf. Der Ort Velsdorf müsste in unmittelbarer Nähe sein, etwas entfernt sehe und höre ich die (zum Glück wenig befahrene) Strasse, aber mein Zelt ist wenigstens sichtgeschützt. Mücken sind hier allerdings kaum weniger als am Kanal, und ich erinnere mich an ein Birkenwäldchen hinter Witzendorf vor zig Jahren...Die Haut ist mit einer Mischung aus Schweiss, Staub und Autan überzogen, aber da ich keine Lust habe, völlig zerstochen zu werden, verkrieche ich mich fluchtartig ins Zelt, und so wird es wieder nur eine Not-Wäsche mit Feuchttüchern. Beim kurzen Handy-Telefonat mit Tina erfahre ich, daß der Schauspieler Horst Frank verstorben ist. Lautes (Hunde? Hirsch?) Gebell und Geröhre begleitet mich bei meinen Einschlafversuchen.
Fahrstrecke:...........116,1 km
Nettofahrzeit:.........7:30 Std.
Ø Geschwindigkeit:..15,4 km/h
Gesamtstrecke:.......347 km
4.Tag - Donnerstag, 27. Mai
4:00 Uhr. Habe das Gefühl, daß ich noch nicht eine Minute geschlafen habe. Irgendwann nachts hörte ich ein Riesentier durch Gras hetzen. Jetzt kurvt ein Jeep wenige Meter entfernt den Waldweg entlang, und in der Dämmerung wird das Vogelkonzert laut und lauter. War es eigentlich diese Nacht überhaupt richtig dunkel? Schlafe dann wohl doch (noch oder wieder) ein, wache aber noch mehrmals wieder auf. 6:10 Uhr - laute Klopfgeräusche (?) am Kornfeld. Ich bemühe mein Kopf aus dem Zelt, kann aber absolut nichts entdecken, außer, daß wohl schönes Wetter werden wird. Um 7:10 Uhr erwache ich, inzwischen schon wieder völlig verschwitzt, aus dem üblichen spätmorgentlichen Tiefschlaf (wie zu Hause...) und beginne sogleich mit dem Packen, während draußen ein großer Vogel laut mit den Flügeln schlägt. Dies war mit Abstand der lauteste Schlafplatz überhaupt, was die Tiergeräusche betrifft! Es ist Bombenwetter! Diesmal lohnt es sich, das Zelt zum Trocknen in die Morgensonne zu legen (Schlafsack und andere Ausrüstungsteile hätten das eigentlich auch mal nötig), die mittlerweile, verglichen mit den Vortagen, eine ungeheure Kraft hat. Das Wetter spornt mich an, wer weiß, vielleicht komme ich noch bis Celle, dann haben es die Abholer nicht so weit, oder ich hänge noch den Samstag dran! Am dritten Morgen sitzt jeder Handgriff, die Rüstzeit verkürzt sich. Nach Einpacken des Zeltes, Zähne- und Händeputzen (das muß reichen) verteile ich noch Sonnencreme auf den Armen, und 8:30 Uhr geht's los. Auf Höhe von Mannhausen überquere ich Kanal und Ohre, um wieder in den Naturpark zurück zu gelangen. Der sandige, von riesigen Traktoren-Reifen zerfurchte Weg führt rechts der Ohre entlang; er ist leider fast unbefahrbar, zeitweise muß ich absitzen und schieben. Dafür entschädigt aber eine sehr schöne Landschaft (vermutlich hätte sich auch hier ein Lagerplatz gefunden). 9:15 Uhr passiere ich nach erst 7 gefahrenen Kilometern einen Pferdehof (ich wähne mich etwa auf der Höhe von Krugerhorst, das liegt aber weit nördlich, und auf meiner groben Karte sind natürlich keine Einzelhäuser verzeichnet). Der Weg schlängelt sich schließlich wieder an den Mittellandkanal heran, an dem ich nach knapp zehn Kilometern eine kurze Pause einlege. Jetzt müssen ein paar Reste dran glauben (Kemm'sche Kuchen, Himbeerpulver (ohne Wasser?)). Sehr viel Gezücht schwirrt umher, und die Sonne ist echt Stechmannsdörfer. Nach 15 Min. ist die Ruhe vorbei und ich rolle weiter, passiere um 10:00 Uhr bei Kanal-Km 275 (vermutlich) die Straßenbrücke Rätzlingen-Miesterhorst. Über die Wegqualität dieses Abschnittes gibt es nichts zu klagen, so hatte ich mir das vorgestellt. Das wird aber wohl nicht lange so bleiben, denn fast der ganze Kanal gleicht an mindestens einem Ufer einer Baustelle: er soll über weite Strecken um einige Meter verbreitert werden. Nach ein paar Minuten ist es soweit: Der Weg hört unvermittelt auf. Vor der Schranke hält jemand in einem Auto ein frühmittägliches Schläfchen im Halbschatten einiger Bäume. Ich wende und fahre ein paar Meter zurück außer Sichtweite. Die ganze Strecke zurück bis zum nächsten Abzweig - das ist mir zu blöd. Also prüfe ich, ob der Weg hinter der hohen Böschung weitergeht. Tatsächlich! Nachdem ich das Rad buchstäblich hinüber gewuchtet habe, kann ich ungehindert auf dem ausgeschilderten Weg weiterradeln (sehr merkwürdig). Allerdings nur ein kurzes Stück, denn dann behindert ein Metallzaun die Weiterfahrt, den ich aber irgendwie umfahren kann, woraufhin ich mich in einem gesperrten Baustellenbereich einer neuen Anlegestelle für Binnenschiffe wiederfinde. Nach Durchquerung, inzwischen kündigt sich im Nacken ein Sonnenbrand an, stehe in am Fuße zweier Kanalbrücken; die Straßenbrücke (Bergfriede-Taterberg) wird von einer Eisenbahnbrücke überspannt. Da kein Weg am Kanal weiterzuführen scheint, bin ich etwas ratlos. Ein freundlicher Herr mit Hund berät mich bei der Wegfindung (10:25 Uhr, km 17,6). Nach einem kurzen Straßenschlenker nordostwärts biege ich wieder nach links und bewege mich erneut entlang der na?! - Ohre nach Buchhorst (merkwürdigerweise ein Ortsteil von Oebisfelde, das einige Kilometer südlich liegt; km 23,4, 10:55 Uhr). Endlich werde ich meinen Müllbeutel los. Ein Flugzeug der Bundeswehr überquert im Tieflug lärmend den Ort. Eigentlich wollte ich die in der Karte weiß verzeichnete Straße über Wolmirshorst-Breitenrode nehmen, aber die sieht so löchrig aus, daß ich auf der (wenig befahrenen) Hauptstraße Richtung Wassensdorf/Oebisfelde weiterrolle - leider nur wenige Meter...ein explosionsartiger Knall stoppt ruckartig die Weiterfahrt, ich einer zehntel Sekunde ist die gesamte Luft aus dem hinteren Reifen gewichen und ich bin regelrecht heruntergesackt. Was war denn das nun wieder? Hatte das mit der Coladose zu tun, die ich wenige Meter zuvor halb überrollt habe? Noch ist meine gute Laune nicht ganz zerstört, ich wuchte sofort das Bike an den Straßenrand und beginne unverdrossen mit dem Abbau der Seitentasche, um das Rad ausbauen und den Reifen flicken zu können. Erst jetzt überblicke ich das Ausmaß des Schadens: Die hintere Felge ist zerfetzt, ein Teil des Felgenrandes hat sich abgeschält und um Bremsen und Streben gewickelt. Eine Reparatur und Weiterfahrt ist damit ausgeschlossen, meine Laune sofort im Keller. Wieso passiert jetzt bei diesem schönen Wetter so ein Schlamassel? Wieso zerfetzen jetzt schon Felgen während der Fahrt? Wieso habe ich die Coladose überrollt? Wieso habe ich nicht doch den anderen Weg gewählt? Die ganze schöne Planung, über Wolfsburg-Gifhorn-Celle-Lönssee auf den Spuren unserer alten Europaweg-Wanderungen noch ein gutes Stück zurückzulegen, ist wie eine Seifenblase zerplatzt. Es nützt alles nix. 11:15 Uhr erreiche ich Andy per Handy und organisiere Hals über Kopf eine Not-Abholung. Jetzt geht das große Warten los! Ich schleife das MTB zurück nach Buchhorst und stelle es vor dem Restaurant "Pub'n'Satt" an den Zaun. Hier ordere ich auf den Schreck erst mal ein (?) Kristallweizen. Man kann es nur im Schatten der Sonnenschirme einigermaßen aushalten. Um 12:15 Uhr erreiche ich erstmalig Tina. Andy und Vati sollen schon auf dem Weg dorthin sein. Um die nunmehr erzwungene Untätigkeit zu durchbrechen, starte ich in der Mittagshitze eine kleine Fuß-Wanderung Richtung Wolmirshorst. Im Schatten der Kanalbrücke halte ich ein Mittagsschläfchen, vermisse dann meine Sonnenbrille und muß den selben Weg zurücklaufen (siehe da - die Sonnenbrille liegt noch auf dem Tisch an dem kleinen Rastplatz...). Nachdem ich so über zwei Stunden totgeschlagen habe, sitze ich 14:45 Uhr wieder im Cafégarten und unterhalte mich dort angeregt mit einem Wolfsburger Radler, der den Drömling als Naherholungsziel öfter durchfährt, über meinen technischen Defekt, das Radfahren allgemein und (VW-)Autos. Zwischendurch sorgt ein deftiges Essen (Schnitzel, Pilze und Röstkartoffeln) für Ablenkung. Beim Aufbruch überläßt mir der ehemalige VW-Mitarbeiter eine Freizeitkarte vom Drömling. Ein Rückruf bei Tina gegen 16:00 Uhr ergibt nichts Neues, weiter heißt die Devise: warten. Nachdem um 16:25 Uhr ein Salamander die Straße quert (für mich in der Situation eine Sensation), treffen Andy und Vati 16:40 Uhr ein, und gegen 21:00 Uhr bin ich wieder zu Hause.
Fahrstrecke:...........24 km
Nettofahrzeit:.........? Std.
Ø Geschwindigkeit:..? km/h
Gesamtstrecke:.......371 km
P.S.:
Ein Besuch beim Fahrradhändler und das Studium von Fachzeitschriften klärt mich auf: Felgenbrüche und andere schwerwiegende Schäden an Laufrädern seien an sich nichts besonderes, schon gar nicht bei derartiger Belastung. Ich könne mich im Gegenteil freuen, daß das offenbar hochqualitative alte Laufrad schon so lang gehalten hat!