Radwanderung


Juni 1992










von

Detmold


nach

Selters



1.Tag, Sonntag 14.06.1992

Die Tour beginnt. Als der Wecker um 6:00 Uhr das erste Mal klingelt, bin ich einfach nur müde. Fahrradtour? - keine Meinung! Eine viertel Stunde später stehe ich dann auf. Der Morgen verläuft nach Plan. Eine halbe Stunde für Waschen und Anziehen. Dann eine Stunde für das packen der Sachen und das Aufbauen der beiden Fahrräder. Ja, die Vorbereitungen waren dieses Jahr nicht besonders ernsthaft. Haus und Garten haben mich zeitlich und gedanklich völlig in Beschlag genommen. Meine Trainingshose wird erst heute morgen gewaschen und von Petra mit allen erdenklichen Tricks auch noch fast gänzlich getrocknet.


Um 7:45 Uhr gibt’s das Frühstück und ich schreibe diese ersten Zeilen. Die Kinder schlafen noch. Vati und Andy erscheinen 8:05 Uhr. Nach vielen Küßchen von Robert, Annika und Petra starten wir bereits um 8:15 Uhr. Nach kurzem Tankstop sind wir um 8:35 Uhr bei Matthias und Tina. Erneut wird gepackt und das nunmehr dritte Fahrrad auf das Autodach gehievt und verzurrt. Nach zehn Minuten geht’s dann los zur Autobahn. Die Fahrt geht gut voran. Etwa 1½ Stunden später sind wir schon hinter Hannover. Hier auf dem Rasthof Garbsen erfolgt unsere erste Rast. Das Wetter ist gut. Es ist zwar eine durchgehende Wolkendecke über uns, aber immerhin scheint die Sonne und es ist angenehm warm. Um 10:40 Uhr fahren wir weiter. Bei Bad Salzufflen ist die rasante Autobahnfahrt beendet. Quälend führt nun der Weg über Bundesstraßen bis nach Detmold. Meist können wir nur 70 km/h fahren. Diese Strecke erscheint endlos!


Punkt 12:00 Uhr ist der Parkplatz am Hermannsdenkmal erreicht. Nun beginnt sofort das Aufrüsten der Fahrräder; nach 40 Minuten ist es geschafft. Wir sind startbereit! Das Wetter hat sich nicht verändert, der Himmel ist bedeckt, aber die Sonne scheint und es ist angenehm warm. Nach letzten Fotos und Abschiedsworten startet um 13:00 Uhr unsere diesjährige Fahrradtour.


Mit steifen Beinen rollen wir die ersten Meter wieder bergab. Es ist doch wieder recht ungewohnt mit den schwer bepackten Rädern loszufahren. Mir ist doch recht mulmig zumute. Ich erinnere mich noch sehr gut an die ´88er Strapazen als ich hier allein die Strecke geschoben und geradelt bin.


Um 14:30 Uhr machen wir die erste Rast des Tages. Wir sitzen auf einem mächtigen Felsen der Externsteine, kurz hinter dem Touristenrummel. Von unten dringt Drehorgelmusik zu uns hinauf. Wir sind alle drei total naßgeschwitzt. Das kann ja heiter werden! Wurde Berlebeck noch fast gänzlich tretend erreicht (allerdings wurde der Abstecher an der Adlerwarte vorbei ausgelassen), ging es gleich im Anschluß meist endlos bergauf. Dies ist schon ein ziemlich brutaler Start von Schreibtisch in eine Fahrradtour hinein! Das Wetter ist unverändert. Nach nur 10 Minuten Rast geht’s um 14:40 Uhr weiter.


Irgendwo auf diesem Buckel habe ich ´88 den Einzelwanderer getroffen der den Europawanderweg von Genua aus angegangen ist. Ob der schon an seinem nördlichen Ende angelangt ist? Wir werden es nie erfahren!

Nach der Überquerung der Bundesstraße 1 radeln wir auf schattigem Asphaltweg zur Silbermühle. Eigentlich ein idyllischer Weg. Leider nur geht es sacht aber langanhaltend bergan. Für meine untrainierten Beine bereits eine Strapaze. Auch Andy und Matthias klagen, ein schwacher Trost. Nach wenigen Minuten haben wir es dann aber auch schon wieder geschafft; schon um 15:15 Uhr sitzen die drei Radwanderer im Kaffeegarten der Silbermühle und verdrücken jeder einen Erdbeerbecher (kommt trotz Hochbetriebes sofort!). Im Prinzip also gar nicht so schlimm heute, oder? Nach 20 Minuten Verschnaufpause radeln und schieben wir weiter am Silberbach entlang. Heute ist hier ganz schöner Betrieb! Bald ist mit fahren Schluß; exzessives Schieben setzt ein. Um uns herum die Sonntagsausflügler - man kommt sich irgendwie lächerlich vor. Hin und wieder überholen uns leichtgewichtige Mountainbike-Fahrer, natürlich ohne Gepäck. Bald ist das obere Ende des Silberbachtales erreicht. Das große Gebäude des Gasthofes "Kattenbach" ist immer noch verrammelt und geschlossen. Von hier geht es nun hinauf zum Velmerstot. Es wird mir fast zuviel. Meine Oberschenkel verhärten sich immer mehr. Vor dem Gipfel kämpfe ich gegen einen Krampf; ich kann nur mehr ganz langsam voranschieben. Verdammt ist das hier steil und holprig! Um 16:30 Uhr ist der Gipfel erreicht. Sofort reibe ich den Oberschenkel mit Sportöl ein. Mir ist ganz übel. Auch Andy und Matthias sehen nicht besonders frisch aus. Nach etwa 20 Minuten ist mein Bein wieder in Ordnung. Gemeinsam sinnieren wir hier oben über den Sinn und Unsinn solcher Touren. Mir wird klar, das in meinem Alter wohl oder Übel eine gewisse Vorbereitungszeit unbedingt erforderlich ist! Ich fühle mich hundemüde. Die Milch ist lauwarm, nur der Durst bringt sie hinunter. Zu allem Überfluß haben wir heute keine Fernsicht; wirklich schade! Rast bis 17:05 Uhr.


Nun wird es wesentlich angenehmer! Auf dem Kamm des Teutoburger Waldes, meist ohne schlimme Steigungen, geht es auf gut fahrbaren Wegen in Richtung Süden. Eine Wohltat! Auch die Abendsonne ist nun nicht mehr so nervig warm. Die Wegmarkierungen sind nicht besonders üppig gesetzt! Wir fahren eine andere (aber wohl die Richtige) Strecke als ich damals im Jahr ´88. Wir werden etwas unsicher. Der Abstieg nach Altenbeken kann heute natürlich entfallen. Unsere Taschen sind prall gefüllt mit Verpflegung und Getränken! Über auch für mich neue Waldwege erreichen wir die Paßstraße am Eggekrug um ca. 18:45 Uhr. Die letzten Kilometer hatte ich schon Angst, daß wir nicht plötzlich nach Bad Driburg hinabgelangen. Die Wegmarkierungen sind wirklich zu spärlich!


Aus Neugier weiche ich etwas vom Weg ab schaue nach dem ´88 geschlossenen Gasthof Eggekrug. In strahlender Fassadenfarbe sehe ich ihn heute neben der Straße - geöffnet! Schnell sind Andreas und Matthias überredet einen kleinen abendlichen Imbiß zu nehmen. "Strammer Max" wird hier zwar nicht mit Schinken, sondern mit Wurst zubereitet, aber er schmeckt gut und ist mit 6,- DM wohl nicht zu teuer. Nachdem auch der Durst gelöscht, die Fahrradflaschen mit Apfelsaft aufgefüllt und die schnuddeligen Hände sauber gewaschen sind, geht es um 19:30 Uhr weiter.


Am Parkplatz oberhalb der Iburg vorbei geht es hinein in den Wald. Wiederum gut fahrbare Wege. Es ist jetzt schon recht düster unter den hohen Bäumen. Meist ist der Weg eben, wir kommen flott voran. Am Klusenberg stoßen wir bei der Försterei (nirgends zu sehen!) auf den von mir schon damals gerühmten Asphaltweg, der eine weite Strecke bergab durch den dunklen Forst führt. In manchmal rasender Fahrt geht es hinab in das Bodental. Um aufkommendem Übermut entgegenzuwirken müssen wir von hier natürlich auch wieder langsam Höhe gewinnen. In der abendlichen Kühle ist das aber recht passabel zu schaffen; wir alle haben unseren toten Punkt schon überschritten und radeln flott und ohne Mühe voran.


Gegen 20:00 Uhr passieren wir die Stelle der ´88er Übernachtung. Da diese Lagerstätte nicht in meiner besten Erinnerung ist, beschließen wir noch etwas weiter zu fahren. Über die Bundesstraße und die Eisenbahnbrücke hinüber und nach kurzer Straßenfahrt wieder links hinein in den Wald. Neben einer Abbruchkante führt der Weg, meist mehr ein sehr enger Trampelpfad, nach Süden. Es wird immer schlimmer. Extrem hoch liegende Baumwurzel und viele Steine machen es immer schwerer zu fahren. Nun wird es aber Zeit!


Keine Stelle ist mir gut genug. Immer weiter, immer weiter! Bis 21:00 Uhr kann ich Andy und Matthias immer wieder mitreißen. Nun muß es aber wirklich genug sein für heute! In einer kleinen Unterstandshütte, kurz vor dem Paderborner Berg mit dem Funkturm der Bundespost richten wir unser Lager ein. Dank der offenen Hütte können wir auf das Zeltaufbauen verzichten. Gemütlich und ohne Hast bringen wir den Tag zu einem gemütlichen Ende ("Betonit-Protzen" verschafft mir königliche Erleichterung). Erst nach 22:00 Uhr legen wir uns in unsere Schlafsäcke. Der erste Tag ist geschafft.


Der Tacho zeigt für den ersten Tag folgende Daten :

Zeit (Brutto) = 13:00 - 21:00 = 8:00 Stunden
(Netto) = = 5:10 "
Fahrstrecke = = 47 km
øGeschw. = = 9,0 "
Gesamtstrecke = = 47 "



2.Tag, Montag 15.06.1992

Gegen 5:00 Uhr wache ich das erste Mal auf. Matthias steht vor unserer Baude uns läßt es laut in den Morgen hinein plätschern. Mich treibt es zum Glück nicht hinaus; wir schlafen dann alle bis kurz nach 8:00 Uhr. Herrliches Wetter; die Luft ist noch morgendlich frisch! Haben alle sehr gut geschlafen. Meine neue Luftmatratze ist sehr gut. Nur mit meinem "Kopfkissen" hätte ich gestern abend etwas mehr Aufwand betreiben sollen. Das T-Shirt ist mit weißen Fleckenrändern gespickt, sind das etwa Schweißränder?


Obwohl der Zeltabbau entfällt, essen wir erst gegen 9:00 Uhr unser Frühstück. Wir wollen nicht hetzen. Unangenehm, aber selbst verschuldet, ist, daß es weder einen Schluck Milch noch einen Topf Milchreis gibt. Daher wird nur kurz ein Happen gegessen; schon 9:15 Uhr ist Aufbruch. Der Wetterbericht verspricht für heute und morgen wieder schönes, trockenes Wetter.

Nach einer knappen halben Stunde stehen wir drei am Lichtenauer Kreuz (2 Funktürme der Post). Kurz nach Abmarsch von der Baude sind wir einer großen, wandernden Jugendgruppe begegnet. Das wäre was gewesen, wenn die uns, noch in unseren Schlafsäcken liegend, aufgeschreckt hätten! Das erste Wegstück des Tages hat uns schon gleich richtig in Fahrt gebracht; wir sind alle angenehm durchgeschwitzt. Nach kurzer Rast hinter der Paßstraße geht es nun erst einmal rollend in luftiger Fahrt bergab.


Um 10:30 Uhr sitzen wir oben auf dem Aussichtsturm "Bierbaums Nagel". Fast wären wir daran vorbeigefahren, da ich auf meiner Solotour hier nur eine Ruine vorgefunden hatte. Dank der Neugier von Matthias und Andreas sind wir dann aber doch das kurze Stück querab vom Wanderweg hinaufgefahren. Der Turm ist 1990 saniert worden und kann seitdem wieder bestiegen werden. Leider ist heute keine Fernsicht; der angenehm kühlende Wind lindert aber etwas die mittlerweile recht stechende Sonnenglut. Ich nutze unsere Rast um das Tagebuch zu führen und einige Anmerkungen über Vor- und Nachteile der Ausrüstung niederzuschreiben. Allzulange dürfen wir leider nicht bleiben, weiter geht’s.


Der Aufstieg vom "Kleinen Herrgott" bis zum "Försterkreuz" hat mich ziemlich geschafft. Aber es ist eine sehr schöne Gegend hier. Riesige Wälder. Weiter geht’s von hier, nun meist auf ebenen Wegstücken und nur unbedeutenden Steigungen. Vom Wegkreuz aus folgt eine wunderbare Abfahrt bis zur Bundesstraße. Leider müssen wir unsanft abbremsen, um nicht eine größere Wandergruppe über den Haufen zu fahren. Kurz nach 11:00 Uhr machen wir eine Rast im Lokal "Grünstein" an der Bundesstraße, einige hundert Meter querab unserer Wegführung. Hier werden die Hände gewaschen, die Feldflaschen aufgefüllt, Cola getrunken und Gulaschsuppe gespeist. Irritiert sind wir allerdings von der offenbar geistig gestörten, erwachsenen Tochter der Wirtin, die uns allen die Hand schüttelt und aufgeregt im Hintergrund umherwieselt. Laut Karte folgt nun ein wahrscheinlich quälender Streckenabschnitt bis nach Oesdorf. Leider müssen wir eine halbe Ewigkeit auf die Suppe warten - dafür schmeckt sie uns allen dann aber vorzüglich! Weiterfahrt etwa um 11:35 Uhr, nun müssen wir aber mal wieder was schaffen!


Nach guter Fahrt über befestigte Waldwege stehen wir vor dem Abstieg in Richtung Papengrund. Von meiner ´88er Tour erinnere ich mich, auf dem folgenden Streckenstück das Fahrrad oft getragen zu haben. Das wollen wir uns nicht antun. Dieser Entschluß wird mit einer wahrlich berauschenden Abfahrt über eine asphaltierte Forststraße belohnt. Trotz eines, aus Sicht eines Fußwanderers, riesigen Umweges, ist der Talgrund nach wenigen Minuten erreicht. Herrlich, so könnte es den ganzen Tag weitergehen! Schon 12:10 Uhr sitzen wir an einem kleinen Weiher kurz hinter der "Röters Eiche". Andy wechselt die Strümpfe und kühlt die Füße am Überlauf. Verlockend, aber es muß weitergehen. Gleich sind wir am Anfang des Papengrundes mit seiner langen Steigung angelangt. Da wird uns der Schweiß wieder in Strömen fließen! Auch hier soll die Wegstrecke etwas dem Verkehrsmittel Fahrrad angepaßt werden; den Schlenker durch die Stadtwüstung, die kaum mehr zu erahnen ist, wollen wir uns ersparen und direkt nach Blankenrode gelangen. Aufbruch um 12:20 Uhr.


Nach 20 Minuten Quälerei (1,5 km radeln, 1 km schieben) ist das obere Ende des Papengrundes erreicht. Ich bin klitschnaß! Unterhemd und Unterhose kleben auf der Haut! Andreas ist wieder einmal, einer Dampfmaschine gleich, mit unerschütterlicher Muskelkraft weit vorausgeeilt und lange Zeit vor uns beiden hier oben angekommen. Wie schafft Andy das bloß? Nun führt es etwas bergab hinein nach Blankenrode. Das Dorf ist heute ebenso ausgestorben wie damals. Kein Mensch ist zu sehen. Die eben durch die kurze Abfahrt erfahrene Kühlung wird sofort wieder von der glühenden Hitze, die über den Straßen des Dorfes liegt, zunichte gemacht. An den Bleikuhlen (?) vorbei führt der Weg zur Brücke über die Autobahn Kassel - Dortmund. Schon von fern dröhnt der Verkehr zu uns herüber. Bei einem Inri kurze Photo- und Zigarettenpause. Wenn Andy nicht immer so voranpowern würde, ich hätte das Rad heute mehr geschoben als gefahren. In der Sonnenglut schnell noch einmal mit Sonnenschutz eincremen; einen Sonnenbrand können wir nun gar nicht gebrauchen. Weiter um 13:00 Uhr.


Nach der Autobahnüberquerung führt der Weg durch meist schattigen Wald. Bald haben wir das Ende des Eggegebirges erreicht. Vor uns erstreckt sich nun der weite Talkessel von Oesdorf. Ohne Rast sofort in rasender Fahrt auf einer Asphaltstraße hinunter nach Oesdorf. In wenigen Minuten sind schon die ersten Häuser erreicht. Wir blicken zurück; zu Fuß hätten wir mindestens eine halbe Stunde gebraucht! Nach meinem Einkauf ´88 hatte ich hier den Weg verloren. Einen Laden können wir nirgends entdecken. Dafür entdecke ich plötzlich die Bank, auf der ich damals gesessen und so übelgestimmt gesessen habe. Heute strengen wir uns an den Kreuzen zu folgen, leicht fällt es trotzdem nicht. Bald ist die Talsohle schon wieder hinter uns und das Bergaufschieben kostet wiederum manchen Schweißtropfen. Der Weg windet sich steil inmitten weiter Wiesen und Weiden empor. Die Mittagssonne prallt mit voller Glut auf uns hinunter. Der Durst wird langsam zur Qual, aber bis Marsberg werden wir es noch aushalten müssen!


Nachdem auch diese Höhe erreicht ist, folgt (wie meist der Fall) eine rauschende Abfahrt. Nur unterbrochen von einer Fotorast neben einer farblich berauschenden Wiese voll mit leuchtend roten Mohnblumen übersät. Leider müssen wir kurz darauf einen Abzweig verpaßt haben; nicht Essentho, sondern eine namenlose Bundesstraße ist plötzlich erreicht. Durch rauschenden Verkehr genervt, aber sicherlich besonders flott, erreichen wir Marsberg etwa 14:15 Uhr. Das Wetter ist immer noch toll, blauer Himmel und strahlender Sonnenschein.


Bei "Kontra" (Supermarkt) wird eingekauft: 3 Ltr. Milch (1 Ltr. für den sofortigen Genuß), Granini-Pfirsich für die Fahrradflasche, 2 Töpfe Milchreis, 1 Flasche Apfelmus, 1 Wasser­melone und ein köstliches Baguette. Nachdem die Sachen mit einiger Mühe in den Taschen verstaut sind, schieben wir die Räder schräg hinüber zu einer Brunnenanlage. Die Füße im herrlich kalten Wasser, im Schatten eines großen Baumes ist Mittagsrast angesagt. Das Baguette und die Melone schmecken köstlich! Nur mit Mühe kann ich mich davon abhalten ein weiteres Baguette zu holen Mit der Melone ist mein Magen dann allerdings doch etwas überfordert; nur mit gutem Zureden kann ich die restlichen Stücke an Andy und Matthias loswerden. Der volle Magen und die Wärme des Tages lassen uns jetzt träge und müde werden - es muß jetzt weitergehen, sonst kommen wir nicht mehr hoch!

Es ist jetzt 15:15 Uhr, das nächste Ziel ist Obermarsberg. Der Aufstieg ist mir von ´88 noch in übler Erinnerung. Und wirklich, waren wir bisher der Meinung es gäbe keine Steigung mehr die nicht schon einmal von uns bezwungen wäre! Aber es gibt sie doch! Nach fast einer halben Stunde, um 15:40 Uhr sitzen drei schweißtriefende, matte Gestalten mit pochenden Lungen und Herzen neben der Stiftskirche "Peter und Paul" in Obermarsberg. Die vergnügliche Mittagsrast im unteren Teil der Stadt Marsberg ist vergessen. Was treibt uns nur zu diesen Exzessen? Der Kirchenbrunnen ist von einem breiten, tiefen Graben umgeben, ein Herankommen ohne die Stiefel auszuziehen unmöglich. Diese Katholiken gönnen uns noch nicht mal diese kleine Erfrischung. Der kleine EDEKA-Laden hat schon wieder keine Milch. Ich spreche die Chefin an: "Tja, hier kauft kaum einer Milch; wer frische Milch haben will, fährt zum nächsten Bauern. Nur H-Milch für den Notfall gibt’s hier" Dieser "Notfall" liegt heute vor, denn der Bäcker, bei dem ich ´88 einkaufen konnte, hat heute (am Montag!) zu. Also, H-Milch, ungekühlt. Schmeckt scheußlich, aber was soll’s.


In der Nachmittagssonne folgt nun die Weiterfahrt nach Giershagen. Auf der Straße sind es nur 4 km. Der Wanderweg verläßt diese allerdings gleich wieder und so werden es nach mehrmaligem Auf und Ab 8-9 km für uns. Mit einem Mal rollen ist die "Brennessel-Allee" erreicht - hier war das also! Leider verpassen wir kurz darauf den Weg und erreichen die Höhe von Giershagen viel zu früh. Zu dumm, jetzt geht’s doch wieder an der Bundesstraße entlang. Am Ortsausgang, neben einem INRI kurze Rast von 17:15 bis 17:30 Uhr. Wenn wir noch vor 18:00 Uhr in Adorf ankommen wollen (noch 5 km), muß es jetzt aber zügig weitergehen!


Die nächsten Schlenker des Wanderweges sind nicht besonders aufregend, also flott auf der Straße weiterfahren. Nach einem mäßigen Anstieg folgt eine lange Abfahrt. So kommt man natürlich gut voran. Die Sonne verliert jetzt an Kraft; der Abend naht, durch den Fahrtwind wird es schon kühl an den nackten Beinen. Um 17:45 Uhr ist Adorf erreicht. Im Supermarkt wird Coca Cola für die Trinkflaschen gekauft und ein Fürst-Pückler Eis gegessen. Anschließend Anrufe in Hamburg und ausführliche Berichterstattung bei Tina, Opa und Petra. Erneut verzichten wir auf die genaue Wegverfolgung und steuern das Kneipgelände bei Benkhausen direkt über die Straße an. In geschützter Lage brettert die Sonne eigentlich doch noch ganz schön, der Himmel ist allerdings nicht mehr so schön blau, sondern grau in grau und ziemlich diesig! Weiterfahrt um 18:40 Uhr.


Nach 20 Minuten ist die Kneipanlage erreicht. Die Wiese liegt in herrlicher Abendsonne. Sofort beginnen wir mit unseren Waschungen. Erst ich, dann Matthias und zuletzt Andreas. Das Wasser ist wiederum ...rschkalt. Nebenbei bereiten wir unsere Pfannengerichte zu. Das funktioniert wunderbar mit dem Esbit-Kocher. Plötzlich wird unser Idyll allerdings gestört. Andy ist noch nicht mit dem Haarewaschen fertig, als unvermittelt ein Auto mit "richtigen" Kneipgängern erscheint. Das ist uns natürlich nicht so recht. Schnell ziehe ich wieder meine Unterhose an. Wir wursteln noch gemütlich, doch leider etwas gestört, bis kurz nach 20:00 Uhr herum. Jetzt beginnt die letzte Tagesetappe, bis etwa 21:00 Uhr wollen wir die Höhe hinter Deisfeld erreichen und dann dort irgendwo unser Lager aufschlagen.


Eine Weile führt der E1 erst einmal auf einem asphaltierten Feldweg inmitten von Wiesen und Feldern weiter. Dann, als er wieder parallel zur jetzt kaum mehr befahrenen Bundesstraße in den Wald abbiegt, rollen unsere Räder wie von selbst in Richtung Straße. Es geht nun auch gleich wieder bergauf in den kleinen Ort Schweinsbühl; der Schweiß schießt bereits wieder aus allen Poren. Hatten wir uns nicht heute irgendwann mal einer reinigenden und wohltuenden Ganzkörperwäsche unterzogen? Nach Deisfeld hinunter folgt eine höllische Straßenabfahrt; Matthias stoppt über 50 km/h!


Auch Deisfeld ist wieder in winziges Dorf, nach wenigen Sekunden sind bereits die letzten Häuser passiert. Der letzte Aufstieg für heute steht uns bevor. In der Abendsonne schieben wir die Räder recht frohen Mutes den Berg hinauf, das baldige Nachtlager ruft. Kurz unterhalb des Olkesberges finden wir die, schon auf dem Kneipplatz erkorene, Unterstandshütte. Es ist jetzt schon 21:15 Uhr. Der Boden ist mit Split befestigt, alles etwas düster, aber immerhin sauber. Fein - hier wollen wir übernachten. Den Zeltaufbau können wir auch heute abend unterlassen, das spart natürlich Zeit. Nach den Mühen des Tages lassen wir das Lagerleben nun ruhig angehen. Sanfte Weisen aus meinem Radio schaffen zusätzlich eine gemütliche Stimmung. Wir sind zwar ziemlich geschafft aber nicht willenlos erschöpft. Von hier oben aus haben wir einen tollen Blick über die bergige Gegend. Weit entfernt zieht ein beleuchtetes Band in der jetzt schnell einsetzenden Dunkelheit den Berg hinauf. Das sieht aus wie die "Jennerbahn" bei Nacht! Auch in dieser Nacht bleiben wir offenbar von Stechmücken verschont; nur vereinzelt schwirrt mal ein Insekt umher. Meine Kamera ist mit der Gürteltasche eine tolle Sache. Immer schnell zur Hand, abdrücken und fertig! Nur die Schwergängigkeit der Objektivklappe ist nervig; Petra hätte in Dänemark wohl doch etwas mehr Vorsicht vor dem Dünensand geben müssen.


Der Tacho zeigt für den zweiten Tag folgende Daten :


Zeit (Brutto) = 09:15 - 21:15 = 12:00 Stunden
(Netto) = = 6:20 "
Fahrstrecke = = 67 km
øGeschw. = = 10,5 "
Gesamtstrecke = = 114 "



3.Tag, Dienstag 16.06.1992

Wir wachen um 7:10 Uhr auf, die Sonne steht schon voll auf dem Unterstand. Man spürt schon die aufkommende Wärme des Tages; das wird wohl wieder ein Bombenwetter! Auch in der Nacht kam nicht die erhoffte Abkühlung. Ringsherum ist es noch sehr diesig. Meine 2 Ltr. Milch haben den Abend und die Nacht natürlich nicht überstanden. Wir drei haben nicht sonderlich gut geschlafen, alle sind wir immer auf unseren Luftmatratzen umhergerutscht. Aufbruch nach gemütlichem Frühstück, untermalt von Radio Thüringen (?!), schon um 8:15 Uhr.


Etwa 9:30 Uhr ist Villingen erreicht. Führte uns der Weg zunächst leicht weiter in die Höhe (der Schweiß begann schon wieder zu fließen), folgte dann der unvermeidliche Abstieg nach Rattlau. Ohne Aufenthalt ging es sofort über einen gemäßigten Buckel weiter nach Schwalefeld. Auch hier wieder ein sehr steiler Abstieg in den Ort hinab. Überhaupt soll dies heute der Tag der ewigen Auf- und Abstiege werden, wahrscheinlich der anstrengendste Tag unserer ganzen Tour. Den kleinen Lebensmittelladen am Anfang der bergaufwärtsführenden Ortsstraße gibt es leider nicht mehr. Hier hatte ich ´88 Milch und Apfelmuß genossen. Das betrübt mich doch ein wenig! Also, hinauf in Richtung Ortsausgang. Diesmal wollen wir den rechten Weg bis nach Villingen nehmen. Dies bedeutet hinauf und wieder hinunter, über den Iberg.


In Villingen eingetroffen verzehren wir in einer kleinen Parkanlage unser zweites Frühstück: Erdbeerkuchen und Milch (Ralph) bzw. Nesquik-Drinks (Matthias) bzw. Sprite (Andreas). Auch unsere übrigen Gertränkevorräte werden aufgefrischt. Dies ist hier schon ein ziemlich großer Kurort, vor allem im Winter wird hier eine Menge los sein. Am Brunnen wagen wir es uns den Kopf und die Haare zu waschen. Was bloß die Leute von uns denken? Weiterfahrt in Richtung Neuer Hagen um 10:05 Uhr.


Gegen 11:20 Uhr sitzen wir in einer düsteren Schutzhütte - am Ende des Naturschutzgebietes "Neuer Hagen"! Waren wir noch bis zur letzten Minute guten Mutes, müssen wir nun ganz enttäuscht feststellen, daß wir irgendwo einen falschen Abzweig genommen haben. Auf völlig falschen Wegen wurde nun diese Hütte unterhalb der großen Heidefläche erreicht, ohne auch nur einen Blick darauf werfen zu können. Aus Wut leere ich in einem Zug eine ganze Tüte Milch!


Nach kurzer Rast bis 11:40 Uhr beginnt der Abstieg nach Niedersfeld. Diesmal nicht über die Straße wie ´88, sondern auf dem Wanderweg. Für dieses Bemühen werden wir drei dann auch reichlich belohnt: Das erste Drittel eine echte Mountainbike Abfahrt, dann durch dichtes Gebüsch, zuletzt ohne Schwierigkeiten bis hinunter in den Ort. Wo habe ich mich damals hier nur verfahren? Um 12:10 Uhr ist der Ortskern von Niedersfeld erreicht. Andreas bekommt beim Fleischer keine Frikadellen?! Derart enttäuscht, soll die Fahrt gleich nach Silbach weitergehen, die nächste Bergkuppe will bezwungen werden.


Um 12:50 Uhr sitzen wir neben dem "St. Blasius", mitten im Wald. Ich bin fertig mit den Nerven. Allerdings nicht wegen der Anstrengungen oder etwaiger Irrwege - nein, der Fotoapparat ist kaputt! Schon die letzten beiden Filme war das Schließen der Klappe nur noch mit großer Kraftanstrengung möglich. Zudem hat der Motor offenbar den Film jeweils um zwei Bilder vorgespult; schon nach 20 Bildern wird automatisch zurückgespult. Ich lege einen neuen Film ein; 2x wird nicht eingezogen. Plötzlich wird der halbe Film eingezogen, das Symbol "Klappe öffnen" erscheint - ich öffne und kann den Film natürlich wegschmeißen! Das ist doch zum Kotzen! Nicht nur, das von mir von der ganzen Tour so gut wie kein Dia etwas geworden sein wird, Petra wird natürlich auch steif und fest behaupten, ich hätte den Apparat kaputtgemacht und der Seesand wäre eine Erfindung meinerseits! Mit schlechter Laune geht’s nach einer ausgedehnten Rast um 13:20 Uhr weiter.

Nach nur einer Viertelstunde Fahrt ist die Talsohle von Silbach erreicht. Hier ist überall Mittagsruhe. Kein Hund ist auf der Straße zu sehen. Nach wenigen Metern geht es, ebenso steil wie die martialische Abfahrt Minuten vorher war, wieder hinauf. Die Sonne ist jetzt häufig hinter Wolken versteckt; ein kühler Wind weht immer häufiger. Trotzdem glühen wir innerlich und schwitzen was die Poren hergeben. Um 13:45 Uhr schieben wir wieder an - der Aufstieg zum "Kahlen Asten" beginnt.


Etwa eine halbe Stunde später, um 14:20 Uhr, Kurzrast im hochgelegenen Renautal. Andy und Matthias haben dollen Hunger, ich eigentlich nur Durst. Die Renau ist ein "Kleines Bergbächlein", was sich leise gurgelnd durch ein romantisches Tal windet. Auf Holzstämmen sitzend verschnaufen wir etwas. Bis zum Kahlen Asten sind es noch ca. 3,5 km. Wann werden wir wohl oben sein? Die Sonne bricht nur noch selten durch die graue Wolkendecke durch; oft sieht der Himmel schon sehr bedrohlich aus.


Mit kurzer Zwischenrast an der Kneipanlage, kurz vor dem Parkplatz unterhalb der Gipfelkuppe, erreichen wir diese um 15:30 Uhr. Heute ist hier nicht allzuviel los. Wir frieren schon nach kurzer Zeit. Kalter Wind streicht um unsere nackten Beine; Nebel- und Wolkenschwaden fegen um uns herum. Nur wenige andere Touristen streifen umher. Trotzdem werden auf einer Bank die Essenutensilien (der letzte Liter Milch, Skorpa und Mettwurst) herausgekramt und hastig verspeist. Mit jeder Minute wird es ungemütlicher. Schnell noch Fotos machen und im Gipfellokal auf Klo! Schon um 16:10 Uhr flüchten wir vor dem eisigen Wind wieder hinab in den Wald.


Nach einer knappen Dreiviertelstunde ist um 16:50 Uhr Westfeld erreicht. Hier unten im Tal ist es nun nicht mehr so kalt und windig. In rasender Fahrt, nur von wenigen, kurzen Zwischenanstiegen unterbrochen, ging es hinab. Bis auf eine kurze Ausnahme hinter dem "Berghotel" haben wir immer dem E1 folgen können. Hier im malerischen Westfeld (fast alles Fachwerkbauten, dunkles Holz mit weißen Gefachen) kaufen wir ein. Natürlich wiederum im mir bekannten EDEKA-Markt mit angeschlossenem Sportgeschäft. Weiterfahrt um 17:15 Uhr - nein, wir kommen mit jüngeren Leuten vor dem Laden ins Gespräch, die sich interessiert nach unserer Fahrt erkundigen. Nicht ohne Stolz berichten wir von unserer Unternehmung und dem noch fernen Ziel in Montabauer. Weiterfahrt dadurch erst um 17:30 Uhr.


Wie schon so oft an diesem Tage gelangen wir in den nächsten Ort immer nur über einen möglichst hohen Berg mit steilem Anstieg und ebenso steiler Abfahrt. Auf der Schulter des Hirschberges angelangt, entdecken wir allerdings keine Schutzhütte (wie nach unserer Interpretation in der Karte vermerkt), sondern ein mit Maria- und Josef-Puppen ausgestattetes INRI. Nun, über Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten! Hinunter nach Oberkirchen rauschen wir dann wieder wie im Fluge hinunter. Ein schöner Ort, wiederum mit vielen Fachwerkhäusern und mehreren, besonders einladenden Wirtshäusern. Da möchte man doch am liebsten gleich einkehren. Aber wenn wir das täten, wäre das hochgelegene "Schanze" wohl kaum mehr zu erreichen!


Meine schlimmen Erinnerungen vom Aufstieg nach eben diesem Ort werden dann auch vollständig bestätigt. Moralisch sind wir zwar heute abend gefestigt, aber der Schweiß rinnt furchtbar obwohl es mit zunehmender Höhe wieder empfindlich kalt wird. Endlich ist es geschafft - um 19:00 Uhr erreichen wir bei Glockengeläut das hochgelegene Wintersportareal "Schanze". Die Nebelschwaden treiben um uns herum, es ist saukalt. Während Andreas und Matthias einigermaßen OK sind, fühle ich mich erbärmlich! Eine merkwürdige dumpfe, einsame Stimmung herrscht hier oben. Kein Mensch ist zu sehen. Nun lösen wir unser Versprechen ein und beschließen im Restaurant "Bräutigam Hanses" (?) eine opulente Mahlzeit einzunehmen.


Ohne Rücksicht auf die Preise soll jetzt geschlemmt werden! Nachdem die Räder abgestellt sind, geht es hinein in die so wunderbar warme Gaststube. Andy und Matthi bestellen Rumpsteak, ich habe mich für Wildschweinrücken entschieden. Wir werden nicht enttäuscht, das Essen ist vorzüglich. Nun hinauf ins Zimmer, Duschen und ins bequeme Bett - ja, das wäre schön! Der volle Magen und die Wärme treiben die Müdigkeit in unsere Glieder. Nun aber bezahlen und weiter. Matthias will noch schnell von der einsamen Telefonzelle hier oben Telefonieren. Endgültiger Start um 20:15 Uhr.


Um 22:10 Uhr sitze ich in der letzten Helligkeit vor meinem Zelt uns schreibe diese letzten Zeilen für den heutigen Tag. Von Schanze nach Kühhude dauerte die Fahrt, trotz einiger Gegenanstiege nur 10 Minuten. Doch hier, oh Schreck, führt der E1, traut man der Karte, erst einmal wieder für 1-2 km nach oben. Direkt vor uns aber schlängelt sich die verlassene, asphaltierte Straße wahrscheinlich direkt hinab nach Bad Berleburg. Die Versuchung ist groß! Schnell, ohne noch lange zu überlegen, düsen wir hinab über die Straße. Ohne Autokontakt rasen wir 6-7 km in 15 Minuten hinunter ins Tal. Meine Spitzengeschwindigkeit beträgt 64.5 km/h - so schnell bin ich noch nie mit diesem Rad gewesen! Ein berauschendes Gefühl. Um 20:45 Uhr ist die Stadt Bad Berleburg erreicht.


Langsam wird es jetzt dunkel, schnell weiter nach Raumland. Wahrscheinlich müssen wir noch etwas weiter, mein ´88er Lagerplatz war ja nun wirklich nicht besonders gut gelegen gewesen. Leider bedeutet dieser Wunsch nach idyllischem Nachtlagerplatz wiederum viel Geschiebe. Die Wege führen hinter Raumland natürlich wieder steil empor. Unsere Kraft ist nun wirklich verbraucht. Etwa 21:30 Uhr ist es dann aber so weit, mitten im Wald findet sich eine kleine Nadelholzschonung in der sich (auf einem verdeckten Forstweg) vorzüglich zelten läßt. Ein kleine Lichtung inmitten der etwa 6m hohen Tannen und Fichten bietet vorzüglichen Sichtschutz nach allen Seiten und gerade genug Platz für unsere 3 Zelte. Wie uneben der Boden ist, werden wir wohl erst morgen früh erfahren haben. Es ist jetzt 22:20 Uhr, das Licht wird immer schwächer. Ich ziehe mich in das Zelt zurück - Mann, war das heute ein Tag! Morgen früh gibt es neue Unterwäsche, ich freue mich schon darauf.


Der Tacho zeigt für den dritten Tag folgende Daten :


Zeit (Brutto) = 08:15 - 21:30 = 13:15 Stunden

(Netto) = = 7:35 "

Fahrstrecke = = 71 km

øGeschw. = = 9,3 "

Gesamtstrecke = = 185 "




4.Tag, Mittwoch 17.06.1992


Im Zelt schläft man doch am besten! Aufgrund der gestrigen Strapazen halten es heute morgen alle länger im Schlafsack aus. Das allmorgendliche Wühlen beginnt erst um 8:20 Uhr. Es ist wieder schönstes Wetter. Blauer Himmel und Sonnenschein. Der Aufbruch erfolgt trotz des späten Aufstehens bereits gegen 9:30 Uhr.


Um 10:15 Uhr rollen wir durch Stünzel. In meiner Erinnerung ist dieses Wegstück zwischen Raumland und Bad Laasphe aber viel kürzer! In der Morgensonne geht es doch so manche Steigung hinauf und wieder hinab. Weite Strecken führt uns der Weg durch hohe Buchenwälder. Das Schloß Wittgenstein, hoch über dem Ortseingang von Laasphe gelegen, erreichen wir um 11:00 Uhr. Da es nicht von unserem Standort nicht besonders photogen ist und außerdem im Gegenlicht steht, rollen unsere Räder gleich weiter. Der Einfachheit halber gleich auf der Straße.


In wenigen Minuten ist dann der Ortskern erreicht. Plötzlich entdeckt Andreas einen Fotoladen mit nahezu allen Olympus-Kameras die es wohl gibt. Die AF-Twin kostet 348,- DM, mit Databack 398,- DM. Ich gehe hinein. Während der Vorführung fällt von der Databack-Version nach wenigen Sekunden die Feder der Verschlußfeder hinaus. Nach ausgedehnter Suche auf dem Ladenfußboden und mehrmaligen Fehlschlägen haben der Ladeninhaber und ich das Ganze wieder "repariert" - zum Dank bekomme ich 50,- DM Preisnachlaß. Nun bleibt also die Tour doch nicht ganz ohne Bilder von mir. Nachdem dieser ungeplante und kostspielige Kauf getan ist, müssen nun die Tagesvorräte aufgefrischt werden. Der Lagerbedarf für die nächste Nacht soll aus Gewichtsgründen erst in Siegen besorgt werden. Nach dem Einkauf sind wir zu Faul zum sofortigen Aufbruch; am Brunnen neben dem Wochenmarkt rasten wir drei eine ganze Weile. Andreas und Matthias verdrücken sogar jeder einen halben "Gockel". Ich verspüre jetzt gar keinen Appetit. Aufbruch ist erst gegen 12:20 Uhr. Nun müssen wir aber ganz gehörig in die Pedalen treten und Zeit aufholen!


Am Großgemeindestein kommen wir eine gute Stunde später an. Diesmal auf dem Originalweg. Warum habe ich mich bloß damals verfahren? Die ganze Zeit konnte die Frage "Wo geht’s weiter?" mit der stereotypen Auskunft "Links hinauf!" beantwortet werden. Die Mittagsglut bringt uns doch mächtig zum Schwitzen! Die Rast bis 13:45 Uhr kommt uns viel zu kurz vor, aber es hilft nichts, wir müssen weiter.

Nach kurzer Fahrt führt der Weg steil hinab ins Ilsetal. Nach einer abenteuerlichen Rutschpartie sind wir in wenigen Minuten unten angekommen. Es ist wieder genauso romantisch wie ich es in Erinnerung hatte. Leise "plätschert das Bergbächlein". Leider liegt das Tal in einer unbeschreiblichen Sonnenglut, kein Windhauch kühlt unsere vor Schweiß dampfenden Körper. Wir beschließen trotzdem den Originalweg an den Ilsequellen vorbei zu nehmen.


Endlos führt der Weg das Tal hinauf. Im oberen Teil wird es immer steiler. Der Wanderweg führt jetzt in den Wald hinein. Hier wachsen viele große Farne. Das letzte Wegstück bis Heiligenborn raubt uns wieder einmal unsere letzte Kraft. Das Ortsschild ist um 15:30 Uhr erreicht. Jetzt bloß nicht anhalten, gleich weiter bis zum Lahnhof! Dieses Stückchen über die Straße ist doch nicht mehr so schlimm - weit gefehlt. Von den 15 Minuten, die wir bis dorthin brauchen, müssen die Räder 10 Minuten über den heißen, klebenden Asphalt geschoben werden.


Während unserer Erholungspause auf dem Lahnhof wollen wir uns einen Eisbecher genehmigen. Auf der Karte finde ich zu meiner großen Überraschung "Rinderzunge" - die möchte ich haben! Leider gibt es um diese Uhrzeit (es ist jetzt 15:45 Uhr) nur eine eingeschränkte Speisenauswahl und natürlich keine Zunge. Wirklich schade! Egal, jetzt soll es doch etwas Warmes geben. Also ordern wir 3x großen Spezi und 3x Schnitzel. Das Essen kommt schneller als die Bestecke. Bis wir dann im Besitz von Messer und Gabel sind, sind die guten Sachen im kühlen Wind hier oben schon merklich abgekühlt. Aber die Menge ist reichlich und der Geschmack gut - satt und zufrieden erfolgt die Weiterfahrt um 16:15 Uhr.


Nur durch eine kurze Protzpause unterbrochen, brauchen wir 1¼ Stunden hinunter nach Deutz. Meist geht es in rasender Fahrt bergab. Matthias´ Fahrradgabel ist lose geworden. Aber so etwa passiert halt bei diesen Erbaungsfahrten im Siegerland; im Kreuz ist Heil! Bei "Friedhelm Dornseifer" frischen wir unsere Bestände auf. Vor dem Markt prallt die Sonne auf uns herunter. Es ist hier ein hektisches Gedränge, die Leute hetzen nur so umher. So wollen wir möglichst schnell dieser Unruhe entfliehen. Weiter nach Siegen um 17:55 Uhr.


Wie wollen wir nun fahren? Über den Wanderweg oder über die (vielbefahrene) Straße? Anstiege gibt’s auf jeden Fall wieder reichlich. Aufgrund der prallen Sonne und der vielen Autos entscheiden wir uns für den Waldweg. Obwohl es immer bergauf geht, so schlimm wird es dann doch nicht. Kurz vor der Bergkuppe treffen wir auf einen Rentner bei seinem Abendspaziergang. Wir kommen ins Gespräch. Er ist sehr interessiert an unseren Erlebnissen und es muß sehr viel berichtet werden. Aber die Zeit drängt, wir müssen weiter. Nachdem der höchste Punkt erreicht ist, geht es rasend schnell. Rasende Abfahrten führen uns immer näher an Siegen heran. Immer noch begleitet uns der Sonnenschein; der Himmel ist stahlblau! Nach wenigen Minuten ist Siegen-Weidenau erreicht. Der Weg hinunter in die Stadt ist ebenfalls in wenigen Minuten geschafft. Am Bahnhof angekommen findet sich keine Telefonzelle. Entweder sind sie besetzt und eine lange Warteschlange davor, oder es ist ein Kartentelefon. Da wir diese dummen Plastikkärtchen aber nicht haben, müssen wir weitersuchen. Endlich, im Bereich einer Fußgängerzone, findet sich dann eine passende Telefonzelle. Matthias ruft Tina an, ich informiere Petra über den letzten Teil unseres Tourenverlaufes. Um 19:45 Uhr geht es weiter. Wir suchen den Weiterweg. Von nun an ist der Weg für uns alle unbekannt, denn hier am Bahnhof hatte 1986 meine Solotour ja geendet.


Es ist jetzt 21:25 Uhr, wir sitzen ca. 50m über einer dröhnenden Autobahn, die vor wenigen Minuten auf einer Brücke von uns überquert wurde. Auf der gesamten zurückliegenden Strecke war beim besten Willen kein Nachtlagerplatz zu finden! Der Lärm hier ist unerträglich. Das Wegstück bis zur nächsten kleinen Ortschaft ist nicht mehr lang. Heute abend sieht es beschissen aus, wo und wann werden wir bloß zur Ruhe kommen können? Also weiter!


Etwa 1½ Stunden später, also nach 23 Uhr, sind wir im Schein unserer Taschenlampen bei den letzten Lagerarbeiten. Heute abend ist es wirklich ein Horror! Wie erwartet, waren wir nach unserer letzten Rast Ruck-zuck in der nächsten Ortschaft "Oberschelden" ohne einen auch nur halbwegs annehmbaren Rastplatz gefunden zu haben. Die Sonne ging in diesen Minuten bereits im Westen unter. Vor uns liegt ein großer, sanft geschwungener Berg. Also schnell hinauf!


Dort wo es wirklich ideal gewesen wäre - lagern Zigeuner. Eine große Wohnwagenburg ist aufgefahren. Auf den Motorhauben der dicken Mercedes-Kutschen stehen Fernseher; Feuer flackern im immer schwächeren Abendlicht. Auch das noch, schnell weiter!


Wir können kaum noch etwas sehen. Zum Glück folgt nun eine fast ebene Strecke mit festem Schotterboden. Unsere Räder flitzen mit hoher Geschwindigkeit über den Weg. Nach 5 oder 10 Minuten glauben wir einen ausreichenden Abstand zum Zigeunerlager erreicht zu haben. Mit letzter Kraftanstrengung schlagen wir uns etwa 22:30 Uhr nach rechts in den Wald hinein. Nun müssen die Zelte aufgebaut werden. Es ist fast nichts mehr zu sehen, alles dauert doppelt so lange. So mancher Fluch hallt durch den Wald. Meine kleine Taschenlampe hat natürlich mal wieder einen Wackelkontakt. Die letzten Zeilen des heutigen Tagebuches werden nur mit Mühe fertig. Für die nächste Tour sollte das Mistding durch eine Bessere ersetzt werden. So, nun soll es aber genug sein für heute. Es ist 23:30 Uhr, wir müssen schnellstens zur Ruhe kommen und schlafen.


Der Tacho zeigt für den vierten Tag folgende Daten :


Zeit (Brutto) = 09:30 - 22:30 = 13:00 Stunden

(Netto) = = 7:45 "

Fahrstrecke = = 73 km

øGeschw. = = 9,3 "

Gesamtstrecke = = 258 "




5.Tag, Donnerstag 18.06.1992


Muß um 8:30 Uhr aus dem Zelt, die Blase drückt. Keine Sonne, der Himmel ist grau in grau, ein kühler Wind streicht durch die Bäume. Mein Rücken ist steif, alle Muskeln schmerzen. Es zieht mich schnell wieder zurück in den Schlafsack, augenblicklich schlafe ich wieder ein.


Doch schon kurze Zeit später, um 9:15 Uhr, beginnt für uns der Tag. Der Lagerabbau und das Packen dauern fast eine ganze Stunde. Nun noch ein kurzes Frühstück; Aufbruch ist gegen 10:30 Uhr. Das Wetter hat sich leider noch nicht verbessert, das Radeln wird uns aber sicherlich bald aufwärmen und den ersten Schweiß strömen lassen.


Es ist jetzt 12:10 Uhr. Wir haben noch nicht einmal 10 km geschafft - Na, das kann ja heut ´was werden! Bis zur Freusburg war es doch noch ein ganzes Stück durch den Wald. Noch ein ganzes Stück von der Burg entfernt ging es steil hinunter in das Tal, daß einem vom vielen Bremsen die Hände weh taten. Die Sonne war inzwischen doch zögerlich hinter den Wolken hervorgekommen. So richtig warm wurde es aber dadurch leider nicht.


Die Vielzahl der Wanderer, die uns auf den Wegen begegnen irritiert uns. Schnell ist die Lösung gefunden - heute ist ein katholischer Feiertag (HappyKadaverDay) und wir befinden uns in einem Bundesland, wo dieser Tag nicht nur im Kalender steht. So ein Mist, das hätten wir natürlich gestern bei unseren Einkäufen berücksichtigen müssen; unsere Getränke sind bis zum letzten Tropfen verbraucht!


Unten im Tal angekommen führt der Weg ein kurzes Stück an der Landstraße entlang, dann geht es an der Freusdorfer Mühle vorbei hinüber in Richtung Kirchen und Henkersdorf. Nur kurz führt der Weg über Wanderwege, immer wieder geht’s zwischen Häusern über asphaltierte Straßen. Auf der Höhe angekommen, besorgen wir in einem Ausflugslokal 3 Flaschen Apfelsaft zu je 5,- DM. Nun ja, der Durst macht es möglich! Kurze rast auf einer Bank. Der Wind pfeift hier oben recht kalt um unsere Nackten Beine. Um 12:30 Uhr brechen wir wieder auf, Kirchen ist unser nächstes Ziel.


Heute ist es eigentlich genauso anstrengend wie in den letzten Tagen. Oft führt der Weg steil bergab, kaum im Tal angekommen, schieben wir die Räder nach wenigen Metern schnaufend wieder steil empor. So auch in "Kirchen". Am gegenüberliegenden Hang sehen wir schon von weitem eine mächtige, aber dennoch romantisch wirkende Kirche. Der Weg führt direkt an der Wallfahrtskirche vorbei. Jetzt führt der Weg wieder hinein in den Wald. Vorbei an unzähligen, meist kitschigen Kreuzigungskapellen schlängelt sich der Weg empor zum Druidenstein. Um 13:10 Uhr stehen wir vor dem mächtigen Basaltfelsen. Schätzungsweise 20m hoch. Das Besteigen ist verboten. An diversen Stellen wurden schon Betonbalken zur Abstützung in den Felsen eingezogen. Trotz dieser menschlichen Eingriffe sieht der Fels immer noch imposant und urwüchsig aus. Das Photographieren ist schlecht möglich, nur mit einem enormen Weitwinkel könnte man auf diese kurze Entfernung den Basaltkegel gut wiedergeben. An der Andenkenbude gönnen wir uns ein Eis; um 13:30 Uhr starten wir weiter in Richtung Herdorf.


Schon nach 30 Minuten ist der Ort in teilweise rasender Fahrt erreicht. Die Straßen und Plätze sind wie ausgestorben, sind wohl alle in der Kirche!? Wie im Wanderführer völlig richtig vermerkt, geht’s jetzt wieder steil hinauf. Sozusagen als Direttissima, schnurgerade empor! Fahren ist nicht möglich, also schieben, schieben, schieben! Nur selten ist für eine kurze Strecke mal aufsitzen und radeln möglich. Vorbei an einer rätselhaften Turmruine, erreichen wir um 14:50 Uhr einen Gasthof auf der Hirtenwiese. Hier oben ist ein Getümmel wie auf der Mönckebergstraße, hier also sind die Einwohner von Herdorf. Mit einem tüchtigen Hunger ergattern wir einen freien Tisch und wollen warmes Essen bestellen. Obwohl um uns herum zahlreiche warme Mahlzeiten verdrückt werden, wird uns von der Bedienung eröffnet: Warmes Essen erst wieder ab 18:00 Uhr. Stocksauer bestellen wir jeder einen Spezie und brechen nach nur 20 Minuten Rast wieder auf.


Der "Hohenseelbachskopf" ist eine herbe Enttäuschung. Zum einen ist dieser "Kopf" nicht auffindbar, zum anderen verfehlen wir den Weg und irren für einige Zeit inmitten der zahlreichen Wanderer und Spaziergänger umher. Auf meist sehr unebenen Wegen radeln wir nun bergauf und bergab. Sogar während der wenigen Abfahrten kommt kaum Tempo auf. Das Getümmel haben wir nun schon lange wieder hinter uns gelassen. Sehr einsam und stupide fahren wir in Richtung Südosten. Um 16:30 Uhr erreichen wir das Örtchen Lippe. Seit geraumer Zeit haben wir keine Kartenunterstützung mehr. Hoffentlich geht das gut! Der Himmel wird düster. Die Dörfer hier im Westerwald sind doch eine ziemliche Enttäuschung. Alles wirkt trost- und farblos! Mit den hübschen Orten des Sauerlandes nicht zu vergleichen. Weiter am Rand der Landstraße um 16:45 Uhr. Kalt weht der Wind über die Höhen!


Über die Straße unangenehm aber erfreulich schnell zum Sauerland-Flugplatz. Die Hinweisschilder an der Straße künden davon, daß wir uns trotz der Anstrengungen noch nicht weit von Siegen entfernt haben. Offenbar macht der Weg hier einen riesigen Halbbogen! Am Flugplatz vorbei rollen wir schnell hinunter nach Liebenscheid. Der Ort ist um 17:05 Uhr erreicht. Immer noch müssen wir dem alten Westerwaldlied zustimmen ".. über Deine Höhen pfeift der Wind so kalt ..", es ist empfindlich kalt an unseren nackten Beinen. Die fehlende Sonne macht sich unangenehm bemerkbar. Unsere Stimmung könnte besser sein!


Um dem Tag den besonderen "Pfiff" zu verleihen, müssen wir hinter dem Ort irgendwo einen Wegabzweig verpaßt haben. Geblendet vom Signum des "Jubiläumsweges" des Westerwaldvereines fahren wir offenbar riesige Umwege. Hinzu kommt, daß uns für dieses Wegstück ja keine Kartenunterlage zur Verfügung steht. Der Weg wird immer unwegsamer. Nach einem mühsamen Abstieg in dichtem Wald, stehen wir auf einer winzigen Brücke, die über ein "kleines Bergbächlein" führt. Hier ist der Arsch der Welt, langsam werden wir unruhig - so ein Mist! Plötzlich taucht neben dem verwachsenen Weg ein Schild auf; wir stehen auf dem "Dreiländereck" (Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen stoßen hier zusammen). Also müssen hier schon mal Menschen gewesen sein, wir können es uns kaum vorstellen. Es muß demnach einen Weg aus dieser Wildnis heraus geben - vorwärts!


Nach geraumer Zeit erreichen wir die "Fuchskaute", die höchste Erhebung des Westerwaldes. Allerdings hebt sich der "Berg" kaum von seiner Umgebung ab, nicht sehr beeindruckend! Sanfte Kuppen, wenig Wald und dafür ausgedehnte Wiesen und Weiden. Von hier aus radeln wir auf asphaltierten Wegen weiter, plötzlich und unvermittelt erscheint am Wegrand wieder unser Andreaskreuz - wir rollen wieder auf unserem Wanderweg!


Etwas ruhiger geht es nun weiter nach Stein-Neukirch. Immer noch sind wir außerhalb unserer Westerwaldkarte. Da wir nicht zu spät in Bad Marienburg ankommen dürfen, wählen wir den Weg über die Bundesstraße und verlassen erneut, diesmal aus freien Stücken, den offiziellen Weg. Der Wind macht uns marode, selbst auf den asphaltierten Straßen kostet es große Anstrengung noch voran zu kommen. Die Hemdsärmel wurden schon vor einiger Zeit heruntergekrempelt. Der eisige, böige Wind kommt frontal auf uns zu, die Autos rasen mit atemberaubender Geschwindigkeit an uns vorbei - könnten man jetzt doch nur im warmen Schlafsack liegen!


Nachdem ich auch noch einen kleinen "Umweg" eingelegt habe, ist Bad Marienburg endlich um 19:30 Uhr erreicht. Hunger und Kälte lassen uns nach einem Lokal suchen. Nach einigem Hin und Her landen wir im "Westerwälder Hof", da wir hier von innen die Fahrräder beobachten können und Andreas und ich ein Chateau Briand essen wollen! Ein recht feiner Laden mit junger weiblicher Bedienung. Das Essen kommt um 20:15 Uhr, wir speisen bis etwa 21:00 Uhr. Leicht beschwipst und total gesättigt von dem erstklassigen Abendmahl verlassen wir dann schnell den gemütlichen Gasthof. Nun noch schnell in Hamburg anrufen, dann Suche nach dem heutigen Nachtlager. Es wird schon langsam dunkel!


Hastig überlegen wir den Abholungsort für den nächsten Tag. Montabauer ist absolut unrealistisch; Selters ist da wohl eher erreichbar! Wir sprechen mit Tina, den Niendorfern und der Familie Zornig. Jetzt ist es schon 21:30 Uhr. Fröstelnd treten wir aus der Telefonzelle, unsere Muskeln schmerzen - nun aber los!


Nach einer halben Stunde hektischer Suche findet sich endlich in der Nähe des Tierparks ein Lagerplatz im Laubwald. Die Stelle ist recht einsichtig, aber darauf kann nun keine Rücksicht mehr genommen werden. Es ist schon fast dunkel. Wir sind am Ende unserer Kräfte. Schnell die Zelte aufgebaut. Leider sind die Getränkevorräte nahezu aufgebraucht. Nun ja, morgen früh wird sich in Unnau bestimmt etwas auftreiben lassen. Endlich sind die Schlafsäcke ausgerollt, nun wollen wir nur noch die Glieder ausstrecken und uns wärmen! Um 22:30 Uhr ist Zapfenstreich.


Der Tacho zeigt für den fünften Tag folgende Daten :


Zeit (Brutto) = 10:30 - 22:00 = 11:30 Stunden

(Netto) = = 6:40 "

Fahrstrecke = = 64 km

øGeschw. = = 9,5 "

Gesamtstrecke = = 322 "




6.Tag, Freitag 19.06.1992


Trotz des anstrengenden gestrigen Tages ist schon um 8:15 Uhr die Nachtruhe beendet. Ich möchte am liebsten liegenbleiben. Trotzdem stehen wir nach wenigen Minuten auf und fangen sofort an zu packen. Es ist grauer Himmel und unangenehm kalt. Andreas und Matthias ziehen lange Hosen an, um nerviges Umpacken zu vermeiden, will ich es mutig wiederum mit der Kurzen versuchen! Frühstück soll beim ersten Laden abgehalten werden, an dem wir uns mit Essen und Getränk versorgen können. Der Aufbruch am letzten Tag unserer diesjährigen Tour erfolgt um 8:15 Uhr.


Nach einer kleinen Irrung (nie ohne einen kurzen Blick auf die Karte losfahren!) ist Unnau erreicht. Am Stehtisch einer kleinen Bäckerei gibt es erst einmal eine Tasse Kaffee und für jeden ein Stückchen Bienenstich. Die Abfahrt in den Ort hinunter hat meine Arme und Beine fast erstarren lassen. Langsam wärme ich mich im kleinen Laden wieder auf. Wahrscheinlich wäre die lange Hose doch die bessere Wahl gewesen! Um 10:00 Uhr geht’s dann weiter nach Alpenrod.


Nachdem die Nirter auf einer schmalen Fußgängerbrücke überquert wurde, sichtet Andy in Hirtscheid eine Telefonzelle. In Hamburg nimmt aber niemand ab, also sind unsere Abholer wohl schon unterwegs - nun gut! Mittlerweile kämpft die Sonne mit der dichten Bewölkung. Immer mehr Sonnenstrahlen erreichen uns, es wird langsam wärmer. Zum Glück hat auch der Wind merklich nachgelassen.


Seit Überquerung der Nirter haben wir lt. Wanderführer den Hochwesterwald verlassen. Obwohl es nach Alpenrod wieder hinauf führt, stellen wir doch zu unserer Erleichterung fest, daß die Anstiege merklich flacher ausfallen. Von Alpenrod führt der Weg über sanfte Höhen weiter. Die Hügel sind hier ohne große Anstrengungen zu überqueren. Wir kommen angenehmer und schneller voran. Langsam erholen sich unsere Muskeln. Etwa 12:15 Uhr ist das Gebiet der Dreifelder Weiher erreicht. Leider hat die Sonne den Kampf mit den Wolken verloren. Der Himmel hat sich endgültig für ein tristes Grau entschieden, auch die im Führer angekündigte Seenplatte erscheint uns nicht so imposant wie erwartet. Wie zu erwarten, sichten wir keinen der berühmten Westerwälder Karpfen! Um 12:40 Uhr rasten wir drei unter einer mächtigen Linde, die über und über mit Eichenbewuchs bedeckt ist. Ein seltsamer Anblick! In der Ferne grollt es dumpf, sollte das ein Gewitter sein. Hier unter dem Baum ist es natürlich besonders duster. Unsere Stimmung wird nicht gerade besser durch diese unangenehme Ahnung nun auch noch naß zu werden.


Hätten wir gewußt, wie schnell der Weg heute zu bewältigen ist, hätten uns Tina und Petra wohl doch in Montabauer abholen können, aber unter diesen Umständen ist es wohl doch besser die Tour in Selters zu beenden. Ja, die Luft ist jetzt ´raus, es wird Zeit das wir wieder nach Hause kommen! Um 13:00 Uhr rollen die Räder wieder an, wahrscheinlich unsere allerletzte Etappe in diesem Jahr. Um uns noch ein letztes Mal zu beweisen, daß der Weg oft seltsamen Windungen folgt, verfahren wir uns in Maxsein noch einmal gründlich. Die Markierung ist wirklich wieder einmal eine Zumutung. Da es nun wirklich nicht mehr weit sein kann, hält sich unsere Verärgerung in Grenzen. Bald stoßen wir wieder auf den Weg. Wo sind wir da bloß falsch abgebogen? Total beknackt!


Im letzten Waldstück vor Selters steige ich vom Rad und grabe vom Wegrand zwei Westerwaldbuchen für unseren Garten aus. Vorsichtig kommen die Schößlinge mit dem Wurzelballen in eine Plastiktüte. Mit dem Wasser aus der Fahrradflasche tränke ich die kleinen Bäumchen sorgfältig, daß müßte eigentlich bis Hamburg reichen.


Um 14:45 Uhr ist es geschafft. Wir haben Selters erreicht! In der Oberstadt grüßt uns, die Wanderer des Europawanderweges, ein Schild mit der Aufschrift "...allemohl". Trotz größter Mühe und den abenteuerlichsten Deutungsversuchen gelingt es uns nicht den Sinn dieses Grußes zu entziffern. Vielleicht später einmal!


Wie verabredet, wollen wir uns am Bahnhof mit den Abholern treffen. Der ist aber fast nicht zu finden. Als uns das dann doch endlich gelingt, sind wir ziemlich erschrocken: Der Bahnbetrieb ist offenbar schon vor langer Zeit eingestellt. Eine Beschilderung zum Bahnhof gibt es natürlich nicht mehr, wie sollen Petra und Tina uns bloß finden? Kurz entschlossen radeln wir zurück in den Ortskern. Alle 20 Minuten wird einer von uns zum ehemaligen Bahnhof hinaufradeln um nachzusehen, ob die beiden Mädels vielleicht doch den Weg zum Bahnhof gefunden haben, bevor wir sie im Ortskern abfangen konnten.


Wir richten uns auf einer Bank auf die Wartezeit ein. Schon bald wird uns aber die Zeit lang. Sämtliche Schaufenster in der nächsten Nähe sind nun bekannt; eigentlich ist das hier ein Kuhdorf - nichts los! Die ständigen Fahrten zum ehemaligen Bahnhof nerven doch ganz schön. Stunde um Stunde vergeht, aber mein Auto ist nirgends zu sichten. Endlich, nach fast 3 Stunden, kommen Petra und Tina aus der wirklich kleinsten Seitenstraße des Stadtkerns direkt auf uns zugerollt. Wir sind froh, nun ist die diesjährige Tour wirklich gleich beendet! Nach dem Aufbauen der Räder und umziehen starten wir kurz nach 18:00 Uhr. Getreu dem Ratschlag eines alten Mannes, mit dem wir in der Wartezeit ins Gespräch gekommen waren, wollen wir über Bundesstraßen nach Siegen und erst von dort ab über die Autobahn nach Hamburg fahren.


Der Tacho zeigt für den sechsten Tag folgende Daten :


Zeit (Brutto) = 09:15 - 15:00 = 5:45 Stunden

(Netto) = = 3:35 "

Fahrstrecke = = 36 km

øGeschw. = = 10,0 "

Gesamtstrecke = = 358 "


Für die gesamte Tour ergeben sich pro Tag folgende Durchschnittswerte :


øZeit (Brutto) = 10:35 Stunden

(Netto) = 6:10 "

øFahrstrecke = 60 km

øGeschw. = 9,6 "



Epilog:


Auf der Strecke nach Siegen queren wir mehrmals unsere Fahrradroute. Innerhalb recht kurzer Zeit kommen wir nun an Stellen vorbei, die mit dem Fahrrad viele, viele Stunden Fahrzeit auseinanderlagen. Vorbei an der Freusdorfer Mühle ist dann bald Siegen erreicht. Hier wird dann aus einer Laune heraus ein fast schon abartiger Entschluß gefaßt. Wir haben alle ziemlichen Hunger und in Erinnerung an unser hervorragendes Abendmahl in Schanze, beschließen wir nicht auf die Autobahn zu fahren, sondern über die Bundesstraße nach Bad Berleburg und von dort hinauf nach Schanze zu fahren! Das ist natürlich ein ziemlicher Schwachsinn. Entgegen dem recht schnellen Vorankommen von Selters bis Siegen, kommen wir nun nur noch sehr langsam voran. Es ist jetzt dunkel geworden, endlos kurven wir über Serpentinen steil bergauf und - bergab. Wir sind jetzt wieder im Hochsauerland!


Unmut über unseren Entschluß wird laut, die beiden Frauen quengeln endlos herum. Der Hunger nervt. Endlich ist Bad Berleburg erreicht. Gleich hinauf über unsere Abfahrtsstrecke nach Kühhude. Hier oben werden wir geschockt, die Straße nach Schanze ist für den allgemeinen Verkehr gesperrt! Was nun? Völlig genervt, fahre ich in der Dunkelheit einfach weiter. Halsbrecherische Schotterpisten mit tiefen Schlaglöchern. In der Dunkelheit findet man sich nicht zurecht. Endlos fahren wir auf dem Forstweg, aber Schanze erreichen wir nicht. Auch infolge des ständigen Gequängels wende ich auf dem schmalen Weg und rase wieder hinunter nach Bad Berleburg. Unsere Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Wenige Minuten später findet sich hier unten an der Bundesstraße ein Gasthof. In gereizter Stimmung wird nun endlich zu Abend gegessen.


Der Rückweg nach Hamburg ist jetzt praktisch nur noch über Bundesstraßen möglich. Weiter führt der Weg über den Kahlen Asten nach Norden. Die Stunden vergehen nur langsam. Das Fahren strengt mich doch sehr an. Dunkelheit, Nebel und Regen fordern meine ganze Aufmerksamkeit. Irgendwann ist dann Hamburg erreicht. Aufgrund der Exzesse der Rückfahrt beschließe ich - das war die letzte Fahrradtour, so etwas mache ich nie wieder.


Eigentlich Schade!


Du bist Leser Nummer seit dem 23. Juni 1998

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