Radwanderung


September 1988










von

Bad Nenndorf


nach

Siegen



1.Tag, Montag 05.09.1988

Als um 07:00 Uhr der Radiowecker summt, springe ich sofort aus dem Bett; ich muß noch einige Kassetten überspielen. Auch Petra und Robert werden von den nun einsetzenden Tätigkeiten bald wach. Die letzten Sachen müssen in die Packtaschen. An der Shell-Tankstelle um die Ecke müssen noch schnell die Fahrradreifen aufgepumpt werden. Bereits kurz nach 8:00 Uhr ist alles verladen und vorbereitet, es fehlen nur noch die Kassetten. Jetzt heißt es gut Frühstücken. Nachdem ich mich noch bei Oma & Opa abgemeldet habe fahren wir etwa 8:40 Uhr endlich los. Zusammen mit Matthias geht es dann 9:15 Uhr auf die Autobahn. Nach gemütlicher Fahrt kommen wir Punkt 11:00 Uhr auf der Cecilienhöhe an. Leider hat das uns wohlbekannte Lokal in dem wir noch ein letztes Mal gemeinsam Mittagessen wollten heute Ruhetag. Das Wetter scheint nicht übel zu sein. Der Himmel ist zwar meist grau in grau, mitunter kommt aber doch die Sonne hervor und es ist angenehm warm. Bevor es denn endgültig losgehen soll, spazieren wir noch ein letztes Mal gemütlich zum ?-Turm um die schöne Aussicht zu genießen. Robert wird es dann ganz oben doch ein wenig ungemütlich, ängstlich klammert er sich an uns. Anschließend geht es noch einmal nach Bad Nenndorf hinab, wir wollen vor meiner Abfahrt gemütlich zusammen im "Balkangrill" Mittagessen. Die Portionen sind reichlich und schmecken sehr gut - allerdings sind die Preise auch recht opulent. Mit vollem Magen (!) geht es dann nach einem letzten Packen und Schnüren um 13:15 Uhr vom ?-Turm in Richtung Springe. Die Tour hat begonnen! Petra und vor allem Robert bleiben traurig zurück, auch ich habe ein merkwürdiges Gefühl. Ganz allein will ich bis nach Siegen kommen ?


Bereits nach 10 Minuten muß ich absteigen! Es geht ständig bergan (und bergab!). Das Gepäck, vor allem die Lenkertasche, ist sehr schwer. Vorbei an der "Mooshütte" geht es zum Lokal "Heisterbuche" an der Teufelsbrücke. Zu diesem kleinen schmalen Steg geht es teuflisch steil hinab. Selbst abgetrieben und mit voll gezogenen Bremsen schlittere ich kaum steuerbar hinab. Seit wenigen Minuten regnet es übrigens leicht - das kann ja heiter werden. Sofort darauf geht es auch wieder bergauf, noch im Blickfeld des Gasthauses mache ich eine kurze Pinkelpause. Im Nebeldunst sehe ich kurz nachdem ich weiterfahre einige hundert Meter vor mir einen anderen Radfahrer. Auf den glitschigen Wegen und dem Kopfsteinpflaster kurz vor den Überresten der Heisterburg kann ich jedoch nicht näher herankommen. Um 14:05 Uhr passiere ich in hetziger Fahrt die Stelle unserer vorjährigen letzten Übernachtung. Der Deister scheint mir nur im Regen begegnen zu wollen, wie auch schon im letzten Jahr gießt es jetzt in Strömen! Obwohl ich ohnehin schon total durchgeschwitzt bin, muß jetzt schnellstens etwas geschehen. Zum Glück taucht vor mir der Unterstand an der Kreuzbuche auf. Hier haben Matthias und ich im letzten Jahr bei eisiger Kälte gefrühstückt! Drei Spaziergänger und zwei Hunde haben schon vor mir hier Schutz gesucht. Wir kommen bald ins Gespräch und ich erzähle von meiner gerade begonnenen Radtour. Die Zeit vergeht, aber es regnet in strömen weiter. Die Wolken kommen immer tiefer und bald huschen die Schwaden über den Kammweg. Eine Weiterfahrt scheint unmöglich. Die ortskundigen Wanderer machen mir leider gar keinen Mut, nach ihrer Erfahrung würde es nun wohl den Rest des Tages weiterregnen. Es ist jetzt kurz vor 15:00 Uhr; ich habe meinen Anorak, den Poncho und die Regenüberhose angezogen. Länger zu warten hat keinen Sinn, ich muß jetzt unbedingt weiter. Obwohl der Regen unvermindert weiter fällt, schwinge ich mich auf das Radl und mache mich mißmutig auf den Weg!

Es ist jetzt 18:30 Uhr, ich sitze gegenüber dem Gasthof "An der Bergschmiede" im Süntel, oberhalb von Bad Münder. Hatte es am Nachmittag noch etwa zwei Stunden bis 17:00 Uhr geregnet, kam zu meiner großen Überraschung mit einem Mal die Abendsonne hervor und auch der Regen ließ merklich nach. Im Augenblick nieselt es leicht, am Himmel ist aber kaum noch eine Regenwolke.


Die Fahrt über den Deister war genauso schlimm wie unser Fußmarsch. Die Sicht gleich Null, nur Nebel und Regen. Der Weg matschig und glatt. Wenn es bergauf ging, mußte ich fast immer schieben. Auch bergab gab es kaum Grund zur Freude, auf den rutschigen Wegen war auch hier das Absteigen angeraten. Die Arme sind vom vielen Schieben ganz verkrampft. Unter den nicht gerade atmungsaktiven Regensachen komme ich von den Anstrengungen natürlich furchtbar ins Schwitzen. Was hat mich bloß zu dieser Radtour getrieben? Die Fahrradtaschen taugen überhaupt nichts, sowohl die großen Taschen hinten als auch die Lenkertasche sind nicht wasserdicht. Gerade die Landkarten (zum Glück Fotokopien) haben schon arg gelitten. Wie ich feststellen muß ist die Rückseite des Stoffes zwar gummiert, die Oberseite saugt sich dafür um so besser voll mit Wasser. Da diese Oberseite aber an den Nähten in den Tascheninnenraum geführt ist, wird die Nässe wie mit einem Docht nach Innen gesogen! Dieses Jahr fahre ich vom Regen gehetzt an der "Alten Taufe" vorbei, auch der Nordmannsturm kann mich nicht zu einer Rast einladen. Die lange, aber gerade Abfahrt hinunter zum Nienstedter Paß ist wegen Holzeinschlages gesperrt. Da bei diesem Wetter aber wohl kaum Bäume gefällt werden dürften schlitter ich mit beiden Füßen bremsend hinunter. Der riesige Parkplatz auf der Paßhöhe ist leergefegt, trostlos! Wie um mein Blut wieder in Wallungen zu bringen kommt nun eine solche Steigung, daß ich kaum zu schieben vermag. Wieder auf dem Kamm angelangt kann ich dann auf ebener und asphaltierter Straße meinen Puls wieder beruhigen. Vorbei an Funkstationen des Luftfahrtaufsichtsamtes und der Bundespost und dem Annaturm geht es zum Köllnischfeld. Obwohl ich diesmal besonders aufmerksam bin, ist die Wegführung wiederum nicht eindeutig auszumachen. Nach einem guten Stück auf dem falschen, aber eigentlich wesentlich kürzeren Weg nach Bad Münder bemerke ich den Irrtum und finde dann doch den rechten Weg. Nachdem ich die Deisterpforte (eigentlich unbemerkt) passiert habe, kommen die ersten Sonnenstrahlen zaghaft hervor. Von der "Ziegenbuche" aus (habe ich auch nicht entdecken können?!) geht es dann hinunter nach Bad Münder. Zum Glück entdecke ich kurz vor 18:00 Uhr einen großen Supermarkt. Hier kaufe ich das erste Mal auf dieser Tour meine geliebte Milch und dazu noch zwei Mandelhörnchen. Während die Milch mit großen Zügen schnell konsumiert ist, sind die kleinen Hörnchen kaum zu schaffen - nach dieser ersten Anstrengung ist wohl nur Trinken angesagt. Vergeblich versuche ich Petra zu erreichen, auch Oma & Opa sind nicht im Hause. So rufe ich in Niendorf an und schildere dem erstaunten Vati meine ersten Erlebnisse. Danach geht es erfrischt und ohne Poncho und Regenhose weiter. Schnell bin ich am Fuße des Süntels, hier geht es wieder in den Wald. Auf nassen und aufgeweichten Waldwegen geht es nun wieder zackig bergauf bis zur "Bergschmiede".


Nach dieser Rast und dem Nachtragen des Fahrtenbuches muß ich noch ein Stückchen in Richtung Süntelturm; in spätestens 20 Minuten will ich dann Lager beziehen. Trotz asphaltierter Straße geht es meist schiebend weiter. Die Mühen des Tages lassen jetzt keine großen Anstrengungen mehr zu. Es hat jetzt endgültig aufgehört zu regnen. Die Zeit vergeht und ich finde nirgends einen geeigneten Lagerplatz, entweder ist es zu offenes Gelände oder viel zu abschüssig. Etwa 19:30 Uhr bin ich am Süntelturm angelangt. Sieht etwa so aus wie der Nordmannsturm. Der Turm und das Lokal werden gerade grundlegend renoviert, alles ist im Rohbauzustand. Von hier oben hat man einen schönen Rundblick, ich steige ab und vertrete mir etwas die Beine. Während meines kleinen Rundganges treffe ich auf einen Wegweiser der den Weg zu den "Hohensteiner Klippen" zeigt - sollte das etwa der Hohenstein sein, wo wir vor vielen Jahren schon mit der Alpenvereinsgruppe zum klettern waren? Egal, es muß jetzt unbedingt etwas geschehen, es wird langsam aber stetig dusterer! Gott sei Dank, wenige Minuten später entdecke ich rechts unterhalb des Weges einen verwinkelten, ehemaligen Steinbruch. Trotz des steinigen Bodens bereitet der Lageraufbau keine Probleme, bereits kurz vor 20:00 Uhr steht das Zelt und das Gepäck ist ebenfalls abgeladen. Ich habe wie schon in Bad Münder keinen Appetit sondern nur Durst! Was soll nur mit den ganzen (schweren) Lebensmitteln geschehen? Nachdem ich etwas Schokolade gegessen und (natürlich) Milch getrunken habe, sinke ich auf meinen Schlafsack. Ich bin erschöpft und hundemüde. Um 20:40 Uhr ist dann der heutige Tag für mich beendet - Zapfenstreich.


Der Tacho zeigt für den ersten Tag folgende Daten :

Zeit (Brutto) = 13:15 - 19:45 = 6:30 Stunden
(Netto) = = 4:30 "
Fahrstrecke = = 37 km
øGeschw. = = 8,2 "
Gesamtstrecke = = 37 "



2.Tag, Dienstag 06.09.1988

Wache kurz nach 7:00 Uhr von Autogeräuschen auf. Das sind wohl die Arbeiter, die zum Süntelturm hinauffahren! Draußen ist alles in grauen Nebel gehüllt, aber dafür nicht kalt oder regnerisch. Einschlafen konnte ich gestern Abend ja wohl eine Ewigkeit nicht. Nach den Anstrengungen des Tages habe ich noch lange so sehr geschwitzt, daß der Schlafsack anfangs nur als Decke benutzt wurde. Viele Gedanken über den Sinn dieser Tour gingen mir durch den Kopf und haben mich ganz schön fertiggemacht. Sollte das schon die seelische Krise sein? Kommt die Unsicherheit früher wenn man allein ist? Meinen schmerzenden Gliedern hat das Massageöl sehr gut bekommen und so bin ich eigentlich heute morgen ganz guter Laune.


Ich muß frische Socken anziehen, die alten sind immer noch klitschnaß. Dummerweise reiße ich beim Anziehen im engen Zelt die Schulter der Daunenweste ein, also erst einmal mit dem Nähzeug reparieren (hat Petra mir zu Allerletzt noch aufgeschnackt). Das nächste Mal werde ich es wohl freiwillig mitnehmen! Da ich noch zwei belegte Brötchen habe, verzichte ich auf die Haferflockenmischung und frühstücke während der morgendlichen Lagerarbeiten. Alle Sachen sind naß und klamm; das Zelt klitschnaß. Die Lenkertaschen sind offenbar nur für leichtestes Gepäck gedacht; die Befestigungsbügel sind bereits vom Gewicht nach unten gebogen. Die Dosen müssen weg! Ich habe viel zuviel Lebensmittel! Etwa 8:30 Uhr ist Aufbruch Richtung Unsen, Sichtweite etwa 100m.


Eine halbe Stunde später sitze ich auf einer Bank oberhalb von Unsen. Die Abfahrt aus dem Süntel nach Unsen war steil, matschig und holperig. Vor allem im letzten Teil der Strecke wurde gerade Holz eingeschlagen und die Wege sind von den grobstolligen Treckerstollen besonders zerstört. Fast die gesamte Zeit mußte ich bremsen, ich bekam fast einen Krampf in den Händen! Auf einem großen Holzstapel neben der Straße am Waldrand lasse ich die schwere Suppendose stehen. Sie soll einen Menschen sattmachen, der nicht so schwer an ihr schleppen muß. In dem Dorf, das nur aus wenigen Häusern und Gehöften besteht, ist leider kein Laden auszumachen, so muß ich auf meine Milch vorerst noch verzichten. Kaum habe ich den Ort durchquert, geht es schon wieder bergan. Noch immer ist es recht diesig, aber hin und wieder kommt sogar schon kurz die Sonne hervor. Das nächste Etappenziel ist nun die Stadt Hameln. Bevor es erneut in den Wald hineingeht will ich endlich meinen Walkman hervorkramen und dann während der Fahrt zünftige Country-Music hören. Aber trotz neuer Batterien ist das Gerät nicht zum laufen zu kriegen. Alles fummeln will nichts nützen. Diese Macken hat er in letzter Zeit immer wieder. In einem Tobsuchtsanfall wird das Mistding schließlich auf den Boden geschmettert und unter lautem Geschimpfe zertrampelt - nun denn, schon wieder etwas Gewicht gespart!


Seelisch befreit geht es nun weiter. Der Schweineberg hat neben diversen Steigungsstrecken auch besonders lange und gut mit dem Fahrrad zu bewältigende Abfahrten; ja so hatte ich mir das schon eher vorgestellt! Leider führt die Strecke Anfangs durch sehr düstere Waldstrecken. Etwa um 9:30 Uhr wird es dann jedoch wieder lichter und auch die Sonne hat den Kampf mit dem Nebel endgültig gewonnen und der Himmel ist mit einem mal strahlend blau. Es verspricht ein wunderschöner Tag zu werden! Kurz vor Hameln führt der Weg vorbei am Bismarckturm. Der Turm wird jedoch seinem stolzen Namen nicht mehr gerecht; obwohl auf dem Rand einer Höhe direkt über Hameln gelegen, sind die umgebenden Bäume im Laufe der Jahrzehnte höher als der Turm geworden. Trotzdem steige ich hinauf, aber leider ist gar keine Aussicht mehr möglich man kann die Baumwipfel der dicht am Turm stehenden Laubbäume fast berühren. Stark frequentiert scheint dieses ehemalige Ausflugsziel auch nicht mehr zu sein. Also weiter nach Hameln hinab. Mann, sind die Straßen wieder steil! Kurz nach 10:00 Uhr schlendere ich im herrlichen Sonnenschein durch die Fußgängerzone in der Altstadt. Hier ist es sehr schön! Viele Menschen sind unterwegs und augenscheinlich aufgrund des Wetters alle bester Laune. Nach einem ordentlichen Schluck Milch geht es dann 10:45 Uhr weiter. Nach wenigen Minuten wird die Weser in Richtung Westen überquert. Die Sonne scheint immer noch sehr schön, leider wird es jedoch jetzt etwas diesig. Schnell geht es wieder in den Wald und sehr, sehr steil hinauf zum Klütturm. Fahren ist absolut unmöglich. Etwa 11:20 Uhr bin ich oben angelangt. Mein Hemd ist völlig durchgeschwitzt, meine Haare sind klitschnaß. Der Weg hinauf war bisher die absolut größte Anstrengung aller Touren! Steil wie ein Steig in den Bergen geht es in vielen Kehren hinauf. Das Schieben des schwer bepackten Rades verlangt meine ganze Kraft. Oben angekommen kann man dann allerdings einen wirklich herrlichen Blick nach Osten über die Stadt Hameln bis in den Süntel genießen. Mit dem Fotografieren ist es leider schlecht bestellt; in den engen Gassen von Hameln hätte es eines Weitwinkelobjektives bedurft, im Wald ist es für 21 DIN zu dunkel. Viele Dias wird es von dieser Tour wohl nicht geben. Direkt neben dem Turm ist eine kleine Andenkenbude, ich gönne mir ein kleines Eis und Coca Cola. Der Verkäufer, ein uriger Waldschrat, erzählt mir, daß das Wetter bis zum Ende der Woche sehr schön sein soll! Ja, das hebt meine Stimmung doch sofort ganz enorm. Nach einem ausgedehnten Klönschnack geht es dann 11:45 Uhr mit frischen Kräften weiter. Das erste Wegstück führt ganz leicht abschüssig durch lichten Wald, dann wieder einmal etwas ansteigend. So bringt's Spaß! Um 12:15 Uhr, querab vom Schullandheim Riepenburg, mache ich Rast zum ersten Abprotzen der Tour. Doch auch sonst ist dieser Punkt meiner Tour erwähnenswert. Aus dem Hamelner Stadtforst herauskommend, bietet sich hier ein Rundblick über eine völlig andersartige Landschaft: sanfte Hügel soweit das Auge blickt, bewaldete Kuppen, Felder und mehrere kleine Ortschaften. Jetzt scheint die Sonne wunderbar. Ein herrliches Gefühl! Ich bin guten Mutes! In flotter Fahrt geht es jetzt hinunter bis zum Oberdehmker Bach. Hier bin ich dann am Rande meiner Karte angekommen. Von jetzt ab bin ich für eine unbekannte Strecke ohne Karte und auf die Hilfe der Wegemarkierungen angewiesen.


Etwa zwei Stunden später sitze ich auf dem Hohen Asch unter Bäumen und mache die nächste größere Rast. Die letzten beiden Stunden waren aber ganz schön hart! Schon kurz hinter dem Bach ging es zackig hinauf. Der folgende Weg führte immer gerade nach Westen durch den Wald. Als die Steigung nachließ bin ich wieder aufgestiegen, aber bald bleiben die Reifen am Boden kleben! Die Bundespost hat offenbar Kabel verlegt und dabei den Weg in seiner gesamten Breite unpassierbar gemacht. Durch das Graben liegt jetzt schwerer Lehmboden obenauf; der gestrige Regen hat dann das Ganze in eine zähe, klebrige Masse verwandelt. Alle paar hundert Meter mußte ich den Lehm mühsam zwischen Reifen und Schutzblech mit Stöcken herauskratzen. Ein Ausweichen in den Wald nach links oder rechts war meist nicht möglich. Eine Tortur! Von den letzten 2 Stunden habe ich das Rad über 1¼ Stunden schieben müssen. Es gibt aber auch positives zu vermelden, hatte ich gestern mehrere Rehe und zwei Hasen gesehen, konnte ich vorhin zwei große Raubvögel beobachten. Mittlerweile bin ich wieder im Bereich meiner Karten und habe damit gleichzeitig Niedersachsen verlassen und befinde mich jetzt in Nordrhein-Westfalen.


Nach kurzer Rast geht es in rasender Fahrt hinunter nach Bösingfeld. Der Wanderführer sieht hier zwar eine etwas andere Streckenführung vor, die Aussicht auf möglichen Einkauf von Milch läßt mich jedoch diesen Schlenker wählen! Etwa 15:00 Uhr verlasse ich den Ort wieder. Ich habe zwar kurz in Hamburg angerufen (Petra war wieder nicht da, so wurde Vati in Niendorf aus seinem Mittagsschlaf gerissen), ein Lebensmittelgeschäft war jedoch völlig unverständlicherweise nirgends zu entdecken. Das wird kritisch, es ist nur noch 1 Ltr. Wasser in der Fahrradflasche. Cola oder Milch sind schon lange ausgetrunken. Kurz hinter dem Ort liegt direkt neben dem Wanderweg ein sehr schönes Freibad. Bei dem schönen Wetter hätte das eigentlich eine willkommene Erfrischung sein können, aber der Zeitaufwand wäre doch enorm gewesen. Also weiter!


Genau eine Stunde später bin ich in Linderhofe. Von Bösingfeld ging es über einen harmlosen Buckel hinab in das Extertal. Danach zackig hinauf zum Winterberg und vorbei an einer Radarstation der Amerikaner auf dem Dörenberg. Den Abstecher zur Sternburg verkneife ich mir, kurz und schnell geht die Fahrt hinab nach Linderhofe. Gott sei Dank, in einem kleinen Laden direkt neben der Post finde ich köstliche Getränke: Hohes C und Milch. Leider ist die Milch sauer geworden, ich tausche gegen H-Kakao. Mit dem Ladenbesitzer komme ich dabei noch ins Gespräch. Danach sitze ich auf den Eingangsstufen und genieße die kurze Rast. Herrlicher Sonnenschein! Aufbruch um 16:00 Uhr. In rasender Fahrt geht es auf einsamen, ebenen und meist leicht abschüssigen Wegen nach Schwelentrup und sofort weiter nach Hillentrup. In einem seichten Bächlein mitten im Ort kann ich den Lehm aus den Zahnrädern und der Gangschaltung waschen. Eine Gruppe Kinder, die offenbar ebenfalls ein Radtour unternehmen und gerade am Bach spielen, schaut mir dabei neugierig zu. Auf einem Schild lese ich "Lemgo 9,5 km". Es ist jetzt 17:00 Uhr, ob ich das wohl noch bis vor Ladenschluß schaffe? Nun, wir wollen es versuchen. Kaum aus dem Ort heraus muß ich aber schon wieder schieben - und werde dabei von einer Uroma mit einem uralten Miele-Fahrrad überholt, höchst blamabel Herr Zornig! Nach einer recht schweißtreibenden Schiebephase geht es dann, wie das halt eigentlich immer so ist, auch wieder wunderbar bergab. Lange übersichtliche Kurven und ein gut befahrbarer Weg. Das entschädigt und gibt erneut Hoffnung es zeitig genug bis Lemgo zu schaffen. In einem querverlaufenden Bacheinschnitt angekommen wird die Wegfindung allerdings schwierig. Hier haben alle Wege plötzlich Kreuze als Markierung. Die Bachüberquerung ist nicht auszumachen. Ich fahre bachabwärts, kann dann den Bach überqueren und die ganze Strecke wieder hinaufstrampeln! Viel zu früh biege ich dann nach Westen ab. Es geht erneut bergauf, dann bergab. Dies ist bestimmt nicht der richtige Weg. Auch ein Jogger kann mir nicht Helfen; mit der Karte kann er scheinbar überhaupt nicht umgehen. Nachdem ich ein weiteres Mal falsch gefahren und auf einem Hof gelandet bin, habe ich die Schnauze voll. Da ich den Wald inzwischen verlassen und Lemgo bereits unter mir erblicken kann, geht es nun immer der Nase nach über Straßen hinunter in die Stadt.


Um 18:10 Uhr bin ich dann in der Fußgängerzone von Lemgo. Obwohl die Läden hier offenbar schon um 18:00 Uhr schließen, bekomme ich doch noch meine Milch. In der herrlichen Abendsonne sitze ich mit einem großen Eisbecher vor einem Eiskaffee und schreibe diese Zeilen. Es ist jetzt gleich 19:00 Uhr, ich muß jetzt schleunigst den richtigen Weg wiederfinden, aus Lemgo heraus und einen Nachtlagerplatz beziehen. Der Wanderführer unterschlägt übrigens die Wegstrecke zwischen Lemgo und Detmold! In der ausgedehnten Fußgängerzone findet sich der Weg zum Glück schnell wieder. Es ist bedauerlich hier so schnell durchfahren zu müssen, wie auch in Hameln gibt es hier viele sehr schöne alte Häuser. Es dauert eine ganze Weile bis ich das Stadtgebiet verlasse, zu Fuß wäre das schon ein recht quälendes Wegstück. In einer lang anhaltenden Steigung geht es auf einer asphaltierten aber einsamen Straße hinauf zum Biesterberg. Zum verschnaufen mache ich am Ende der Straße eine kurze Rast. Es ist jetzt 19:30 Uhr, von hier oben hat man einen schönen Blick auf die Stadt Lemgo. Es ist wirklich sehr schön hier. Ein längeres Gespräch mit einem Spaziergänger, der seinen Hund ausführt, dauert bis 19:45 Uhr. Bis Detmold sind es jetzt noch etwa 11 km. Ich muß jetzt sofort einen Lagerplatz finden. Doch so einfach ist das auch heute Abend nicht, erst nach längerem Hin- und Herfahren, finde ich am Rande einer kahlen Hügelkuppe (überall Panzerspuren?!) ein winziges Stückchen Wald. Da es jetzt bereits 20:15 Uhr ist, gibt es keine andere Wahl. Obwohl alles andere als versteckt liegend, muß es für diese Nacht genügen. Um 20:45 Uhr liege ich erschöpft im Zelt, draußen ist es jetzt bereits schummerig. Wenige Meter neben dem Zelt auf der Straße wird ein Hund spazierengeführt. Obwohl der Hund ganz aufgeregt zu Bellen anfängt, werde ich nicht entdeckt - das hätte mir gerade noch gefehlt. Hunger habe ich keinen, nur ein Schlückchen Milch trinke ich noch. Hoffentlich schlafe ich heute schneller ein!


Der Tacho zeigt für den zweiten Tag folgende Daten :


Zeit (Brutto) = 08:30 - 20:00 = 11:30 Stunden
(Netto) = = 7:15 "
Fahrstrecke = = 66 km
øGeschw. = = 9,1 "
Gesamtstrecke = = 103 "



3.Tag, Mittwoch 07.09.1988

Erwache wieder um 7:10 Uhr. Lagerabbau und Morgentoilette bis 8:10 Uhr. Zum Frühstück gibt es einen Liter H-Milch und etwas Studentenfutter. Auf die Haferflockenmischung verzichte ich erneut. Ringsherum ist es noch etwas diesig, die Sonne ist jedoch schon voll da! Das wird heute mit Sicherheit wieder ein schöner Tag. Um 8:15 Uhr geht's auf nach Detmold. Durch Wiesen und Felder geht es leicht hinab nach Wahmbeck. Hier führt der Europawanderweg zwischen den Gebäuden eines kleinen Bauernhofes in den Wald. Der alte Bauer grüßt etwas verdutzt aber sehr freundlich. Nun geht es wieder hinauf auf den Gretberg - schieben ist angesagt. Trotz des nassen Grases bleiben die Füße trocken, die Goretex-Schuhe sind schon eine Wucht. Am Südhang dieses Berges liegt eine riesige Kiesgrube und Kalksandsteinwerk. Unmittelbar am oberen Abbruch entlang geht es dann recht nervig hinunter nach Loßbruch.


Kurze Zeit später, bei der Abfahrt vom Rotenberg geschieht es dann. Auf einer vergleichsweise lächerlichen Gefällestrecke auf einem geraden und mindestens 2m breiten Weg, der zumindest anfangs mit fest planiertem, feinem Kies bedeckt ist komme ich plötzlich in weichen, groben Kies. Das Rad kommt immer mehr ins Schwimmen. Ein Lenken ist nicht mehr möglich. Bremsen hilft nichts. Ich habe keine Gewalt mehr über das Rad und es kommt wie es kommen muß, ich stürze bei voller Fahrt. Bevor ich in den Büschen am Wegrand zum Stehen komme, überschlage ich mich mindestens zwei mal. Benommen rapple ich mich auf, meine Daunenweste und auch meine Hose sind mit Blut verschmiert. Die schöne rote Minox-Ledertasche ist völlig zerfetzt. Am Rad ist außer einem verdrehten Lenker und der leicht beschädigten rechten Lenkermuffe offenbar nicht beschädigt (nach Beendigung der Tour stellte sich dann allerdings noch heraus, daß auch die vordere Beleuchtung einen Wackelkontakt bekommen hatte. Dieser Schaden war zum Glück recht schnell zu beheben). Nachdem ich meine Schürfwunden (die am Ellenbogen ist recht tief) versorgt habe, beginnt der ganze rechte Arm zu schmerzen. Oh, bin ich wütend auf mich! Immer war ich vernünftig und bin lieber abgestiegen, als wagemutig eine Gefällestrecke mit dem schwer beladenen Rad hinunterzufahren. Aber gerade das war so trügerisch heute morgen - die Strecke erschien gar zu trivial. Beim zurückspulen des Dia-Filmes ereilt mich der nächste Mißerfolg, aus unerfindlichen Gründen reißt der Film. Voller Wut öffne ich die Kamera. Also wird es wohl keine Dias von dieser Tour geben. Alles in allem (man denke an den Walkman) ist dies offenbar eine Tour mit besonders vielen Höhen und Tiefen! Etwa 9:45 Uhr versuche ich weiterzufahren. Hoffentlich ist das Rad wirklich in Ordnung! Zum Glück ist es das wirklich, ohne weitere Komplikationen gelange ich nach nun nach Detmold.


Hier gönne ich mir die obligatorischen 2 ltr. Milch. Das Wetter zeigt sich wieder von seiner absolut besten Seite. Meine Stimmung ist aber leider nahe dem absoluten Nullpunkt. Auf einer Bank in der tollen Fußgängerzone der Innenstadt versuche ich etwas zu essen. Von meiner mitgebrachten Wurst bekomme ich beim besten Willen nichts hinunter, also weg damit. Als Ernährung genügt mir meine Milch! Wie ich so grüble, kommt mir schon der Gedanke nach Hause zu fahren. Zum Glück kommt da ein mittelalterlicher Radrenner vorbei der mich anspricht und im Laufe unseres längeren Gespräches wieder so aufmöbelt, daß diese dummen Gedanken schnell wieder verfliegen. Der Mann war vor kurzem 3 Wochen an der Mosel mit dem Rad unterwegs. Jetzt bin ich wieder besserer Stimmung. Gegen 11:00 Uhr geht es dann weiter. Entlang der Wiembecke verlasse ich die Innenstadt. Bald darauf geht es sehr zackig im Wald hinauf zum Hermannsdenkmal. Die meiste Zeit muß wieder geschoben werden. Das Denkmal ist über 100 Jahre alt (1875, nach 34 jähriger Bauzeit eingeweiht) und wird, wie es sich gehört, gerade renoviert. Der untere Teil ist also eingerüstet und der stolze Anblick doch sehr gestört. Auf eine Besichtigung verzichte ich, die vielen Stufen die dabei zu erklimmen währen schrecken mich doch ab. Lieber schaue ich mir den Cherusker von unten an und verschnaufe dabei ein wenig. In unmittelbarer Nähe des Denkmals gibt es natürlich einen (oder sogar mehrere?) riesigen Parkplatz und einen großen Restaurationsbau. An einem der kleinen Kioske erstehe ich ein Ansichtskarte um an die Kollegen in meiner Dienststelle zu schreiben. Im Selbstbedienungsrestaurant genehmige ich mir ein Stück Kuchen und eine Tasse heiße Schokolade (6.50 DM).


Um 12:30 Uhr verlasse ich die Stätte des Rummels und es geht es weiter in Richtung Externsteine. Anfangs geht es neben der Zufahrtsstraße zum Denkmal zügig bergab, dann fast ohne Höhenunterschied, dafür aber auf schlechtem Wegstück in Richtung Berlebeck. Vorbei an der Adlerwarte (von der ich allerdings nicht gesehen habe!) ein bodenloser Abstieg in den Ort Berlebeck. Hier finde ich (natürlich) keinen Laden. Sehr mühsam geht es nun sofort wieder hinauf. Bei genauerem Kartenstudium muß ich zu meinem Schrecken entdecken, daß es den von mir erwarteten gemütlichen "Kammweg" gar nicht gibt. Immer wieder queren tiefe Täler den Höhenzug des Teutoburger Waldes und jedesmal heißt es dann also hinab und gleich wieder hinauf - das wird ja wohl noch ein mörderischer Tag! Wie um mich zu versöhnen folgt nun ein längeres gemütliches Wegstück bis es dann wiederum bei Holzhausen bergab führt. Bereits nach wenigen Minuten geht es wieder hinauf auf den Bärenberg. Zum Glück ein sehr sanfter Huckel. Es sieht hier aus wie in der Lüneburger Heide. Hier kommt mir dann doch ein älterer Fußwanderer mit einem prall gefüllten Rucksack entgegen. Wir kommen ins Gespräch und erzählen von unserer Wanderung, mein Gegenüber hat den E2 von der Adria aus angefangen und ist nun im Laufe der Jahre schon bis hierher gekommen. Einen Radfahrer, der diesen Fußwanderweg mit dem Radl fährt hat er dabei noch nie getroffen! Nach dem Austausch von guten Tips und vielen Wünschen geht es dann weiter.


Plötzlich sehe ich sie dann vor mir, am Ende eines kleinen Waldsees ragen die Externsteine vor mir auf. Obwohl hier natürlich viele Leute und Kinder herumschleichen gefällt es mir hier sehr gut. Leider gibt es auch hier keine Möglichkeit meine Getränke aufzufrischen oder ein Eis zu kaufen. Die Besteigung der Felsen ist natürlich nur nach Entrichtung eines Eintrittsgeldes möglich. Da auf den Treppen und Felsenbalkons gar zu viele Deppen herumschleichen und krakeelen, verzichte ich lieber darauf. Nach einer ausgedehnten Pause am Rande einer großen Wiese vor den Externsteinen geht es um 14:30 Uhr weiter. Meine Füße brennen vom vielen Schieben; an beiden Fersen habe ich ziemlich große Blasen.


Schon nach kurzer Fahrt durch den Wald geht es wiederum bergab. Eine Bundesstraße quert hier den Höhenzug. Unweit des Gasthauses Waldschlößchen sitze ich um 15:00 Uhr am Rande der B1 auf einem großen Langholzstapel und trinke meinen letzten halben Liter Milch. Verdammt, das sieht aber schlecht aus! Der Wegverlauf berührt jetzt nicht mal mehr den kleinsten Ort. Wo bekomme ich heute bloß noch etwas zu trinken? Zu allem Überfluß habe ich mir auch noch den ganzen Hintern voller Baumharz geschmiert - so etwas Dummes! Auf bequemem, ebenen und asphaltierter Waldstraße führt der Weg jetzt weiter zur Silbermühle. Bereits 15:20 Uhr bin ich dort; diese Strecke war wirklich eine Wohltat! Obwohl mitten im Wald, findet sich hier eine Telefonzelle nebst Briefkasten. Also schnell die Karte ans Büro einstecken und mit Hamburg telefonieren. Heute erreiche ich aber weder in Iserbrook, Horn noch in Niendorf keinen Menschen. Auch hier rechter Betrieb, was aber verständlich. Der Gasthof ist eine ehemalige Mühle und die Terrasse liegt direkt am Mühlenteich. Sehr romantisch! Ich spiele zwar mit dem Gedanken gemütlich Platz zu nehmen und einen Eisbecher zu bestellen, fahre dann aber dummerweise doch nach kurzer Zeit weiter zur Kattenmühle. Der Weg entlang des Silberbaches ist sehr idyllisch. Etwa 20 Minuten später gelange ich am Ende des Tales zur Kattenmühle. Hier zumindest heute kein Wirtschaftsbetrieb. Hier stehe ich nun in unmittelbarer Nähe des Velmerstot. Zuerst führt der Weg über eine matschige Forststraße und entfernt sich dabei erst einmal wieder vom Gipfel, dann aber über einen Steig in Gratlinie direkt zum Gipfel hinauf. Um 16:20 Uhr ist der Gipfel erreicht, mein Hemd ist klitschnaß! Das letzte Stück war ein Felsensteig, ich mußte das Rad stellenweise tragen. Jetzt könnte ich trinken, trinken und noch mehr trinken! Die Sonne scheint wunderbar. In der Ferne sehe ich das Hermannsdenkmal - ein Wahnsinn! Außer mir sind noch drei andere junge Leute, allerdings zu Fuß, auf den Gipfel gekommen. Hier auf dem Velmerstot beginnt nach Süden hin das Eggegebirge. Ohne Trinkerei ist die Gipfelfreude allerdings doch sehr getrübt und es zieht mich schon nach 10 Minuten weiter. Ich muß unbedingt eine Einkaufsmöglichkeit finden.


Es ist jetzt 2 Stunden später, alles hat sich wieder zum Guten gewendet. Zuerst führte der Wanderweg unterhalb des Grates am Osthang auf recht ebenem, aber matschigem Forstweg in Richtung Süden, dann ging es in einem kurzen, steilem Wegstück hinauf auf den Kamm. Hier verläuft eine einsame aber hervorragend ausgebaute Straße endlos gerade und leicht abschüssig in Richtung Altenbeken. Der Wanderweg verläuft aber nur ein kurzes Stückchen parallel der Straße und führt nicht in den Ort herein. Kurzentschlossen folge ich nun der Straße, ich werde versuchen bei der Gaststätte Eggekrug auf der Passhöhe der Straße nach Bad Driburg wieder auf den Wanderweg zu stoßen. Wunderbar geht es nun in herrlichem Sonnenschein immer geradeaus hinab nach Altenbeken. Etwa 20 Minuten rollen ich ohne viel treten zu müssen in flotter Fahrt der Milch entgegen. Etwa 17:30 Uhr stehe ich vor einem Supermarkt. Ich gönne mir vor allem erfrischendes: Apfelmus, Hohes C und natürlich viel Milch. Nachdem der schon ausgedörrte Körper zu seinem Recht gekommen ist, rufe ich erneut in Hamburg an. Petra ist wiederum nicht zu sprechen, so versuche ich es mal mit Matthias, der dann auch zum Glück zu Hause ist. Es ist jetzt etwa 18:00 Uhr. Frischen Mutes und gut gestärkt verlasse ich nun den Ort in Richtung Buke. Nach etwa der halben Strecke zweigt ein Wanderweg durch den Hossengrund links ab. Der Weg steigt langsam aber unaufhörlich an. Von den Anstrengungen des Tages gezeichnet, schiebe ich das Rad die meiste Zeit. An der Stelle wo der Wanderweg wieder auf die Straße führt stoße ich dann am Eggekrug wieder auf meinen Europawanderweg. Das Lokal sieht völlig verlassen aus, wenn ich mich darauf verlassen hätte! Neben einem kleinen Denkmal für in den letzten Kriegstagen gefallene Soldaten sitze ich in der Abendsonne auf einer Banke. Lange darf es heute aber nicht mehr gehen. Weiterfahrt um 18:45 Uhr. Kurz darauf stoße ich auf einen großen Parkplatz und Schilder "Zur Iburg"; leider führt der Weg zur Burg steil hinab! Trotz der fortgeschrittenen Tageszeit will ich kein Kulturbanause sein und beschließe, dieses Bauwerk anzusehen. Tja, das hätte ich mir man sparen sollen, außer einer Schußfahrt und anschließendem Hinaufschieben war nichts. Die wenigen Gemäuer im Wald sind nicht der Rede Wert! Wozu nur dieser große Parkplatz? Ab hier geht es wieder auf dem Wanderweg, der allerdings meist eben und gut fahrbar ist. Um 19:15 Uhr wird, auf einem Langholzstapel großer Buchenstämme sitzend, gemütlich abgeprotzt. Der Weg wird jetzt noch besser, in flotter Fahrt geht es, ohne zu treten auf einem einsamen asphaltierten Weg sachte aber ständig bergab. Von der in der Karte verzeichneten Gedenkstätte "Klusweide" kann ich beim besten Willen nichts entdecken. Diese bequeme Abfahrt will gar kein Ende nehmen, herrlich! Erst am Landdrostenweg hört der Spaß dann auf, zur Abwechslung geht's mal wieder etwas hinauf. Seit geraumer Zeit schaue ich schon links und rechts des Weges nach einem Lagerplatz. Nahe dem ersten von mir auserkorenen Platz regt sich etwas. Durch das Fernglas betrachtet, erkenne ich ein Auto neben einem Ansitz. Ich bin mir nicht sicher, aber lieber noch etwas weitersuchen! Der Lagerplatz der dann wenige Minuten endgültig ausgewählt wird, ist der bisher schlechteste. Er liegt etwas abschüssig und in unmittelbarer Nähe einer Bundesstraße. Dafür fühle ich mich, trotz der heute extremen Anstrengungen und dem Sturz eigentlich nicht so erledigt wie an den vorhergehenden Abenden. In der Summe habe ich auch heute wieder ordentlich etwas geschafft. Zur Feier des Tages wird die Unterwäsche gewechselt - nur waschen kann ich mich nicht. So stinkt der Körper jetzt eben unter der frischen Wäsche weiter vor sich hin! Zu allem Überfluß werden zum Abendbrot zur üblichen Milch auch noch 4 Würstchen verspeist, allerdings kalt, zum Warmmachen fehlt mir dann doch die Geduld. Es ist jetzt 21:00 Uhr - Zapfenstreich!


Der Tacho zeigt für den dritten Tag folgende Daten :

Zeit (Brutto) = 08:15 - 20:15 = 12:00 Stunden
(Netto) = = 7:15 "
Fahrstrecke = = 61 km
øGeschw. = = 8,5 "
Gesamtstrecke = = 164 "



4.Tag, Donnerstag 08.09.1988

Geheimnisvolles Geraschel weckt mich etwa um 6:50 Uhr; Mäuse oder anderes Kleingetier zerren offenbar an der offenen Tüte Studentenfutter die vor dem Zelt liegt. Bin sehr müde und schlafe gleich wieder ein. Erst 7:45 Uhr windet sich ein müder und zerschlagener Radwanderer aus dem Schlafsack. das Zelt ist innen und außen klitschnaß. Geregnet kann es nicht haben, denn das Fahrrad ist völlig trocken. Es muß kälter geworden sein! Der Himmel ist bedeckt, man spürt aber die Sonne. Unglücklicherweise plagen mich auch noch leichte Kopfschmerzen. Doch nicht verzagen, erst einmal abwarten. Mache wieder kein Frühstück, die Milch genügt mir. Aufbruch heute um 8:40 Uhr, also vergleichsweise recht spät. Nach einer kurzen abschüssigen Fahrt über eine verlassene Straße geht es wieder links hinein in den Wald. Der Eggeweg ist hier zwar eben aber sehr verwurzelt und für das Rad eigentlich nicht geeignet. Die Strecke verläuft dicht an den östlichen Abstürzen entlang. Bald aber geht es doch wieder bergan, der Forstweg wird immer sumpfiger, das hohe Gras ist klitschnaß. Muß viel schieben. Nach fast 1½ Stunden Fahrt mache ich gegen 10:00 Uhr kurz vor dem Lichtenauer Kreuz eine Rast zum Abprotzen. Wenige Minuten später erreiche ich die Passhöhe der Straße Lichtenau-Willebadessen. Hier steht ein mächtiger Fernsehturm. In einem kleinen Unterstand auf der anderen Straßenseite treffe ich auf einen jungen Radrennfahrer aus Lübeck der noch bis nach Köln will. Er Übernachtet in Jugendherbergen, fährt natürlich nur auf Straßen und sein Gepäck dürfte nicht einmal die Hälfte von meinem wiegen. Nach kurzem Klönschnack fahre ich dann weiter. Die Sonne scheint jetzt wieder ganz toll, leider ist es etwas diesig. Zur Entspannung geht es jetzt einen gut fahrbaren gut befestigten Fahrweg bergab - so ist es prima. Eine Stunde später sitze ich auf den unteren Stufen eines alten verfallenen und nicht mehr begehbaren Turmes. Von den in der Karte eingezeichneten Teutoniaklippen, an denen der Weg unmittelbar entlangführt, habe ich beim besten Willen nichts entdecken können. Die Sonne sticht jetzt unbarmherzig hinunter.


Zwei Stunden später, etwa 13:15 Uhr, treffe ich in Oesdorf ein. Obwohl die Wege im Vergleich zu gestern nicht so schlimm sind, merke ich doch, daß mich meine Kräfte langsam verlassen. Auch das Eggegebirge habe ich nun verlassen. Nach der Rast beim alten Turm ging es endlos durch den Wald. Besonders der Aufstieg durch den Papengrund, kurz vor Blankenrode, raubte mir den letzten Nerv. Recht Interessant dann die Stadtwüstung Blankenrode. Meine Hoffnung im kurz darauf erreichten Ort etwas Einkaufen zu können wurde bitter enttäuscht, mein Mund wurde immer trockener. Weiter ging es über die Autobahn Dortmund-Kassel. Kurz vor Oesdorf verlasse ich dann den Wald (und das Eggegebirge); in flotter Fahrt geht es nun auf asphaltierter Strecke hinunter in den Ort. Auch hier suche ich vergeblich nach einem Laden. Nur durch Zufall entdecke ich einen "Rollenden EDEKA-Laden". Ungeachtet der gepfefferten Preise wird nun eingekauft, Milch, Saft, Kuchen und eine Dose Ananas. Der Ort liegt in einem steilen Talkessel, die Straßen hier sind teuflisch steil. Es ist jetzt 14:30 Uhr, ich fühle mich gar nicht gut. Vollgepackt mit den Einkäufen schiebe ich das Rad noch ein wenig in die (falsche) Richtung. Auf einer Bank mache ich nun im Sonnenschein Mittagsrast. Mein Heißhunger ist schnell gestillt, dafür ist mir nun übel. Man könnte wohl einen kleinen Schwächeanfall vermuten. Zu allem Überfluß habe ich auch mal wieder den Weg verloren. Die Sonne brennt auf mich hinunter. Ich muß weiter!


Über Serpentinen folge ich der Straße in die Höhe. In einem großen Bogen, dafür aber wohl weniger steil, geht es hinauf in Richtung Essentho. Auf der Höhe angekommen kann die Straße auch wieder verlassen werden, bald ist der Wanderweg wiedergefunden. Hier oben auf dem Berg erlebe ich den bisher schönsten Rundblick der ganzen Tour! Weit geht der Blick über die bergige, bewaldete Landschaft nach Norden und Osten - toll! So schnell wie das Unwohlsein gekommen ist verschwindet es zum Glück auch wieder. In einer wunderbaren Abfahrt auf einem asphaltierten Wirtschaftsweg geht es herrlich lang und nur leicht abschüssig weiter. Fast ohne zu treten rollt das Rad dahin. Meine Stimmung ist jetzt wieder hervorragend. Ziemlich erschrocken bin ich, als plötzlich vor mir ein von Kopf bis Fuß getarnter Soldat aus einem Waldweg hervortritt. Verdutzt erwidere ich den Gruß - und schon rolle ich weiter. Von Essentho führt der Weg erneut über einen Hügel nach Marsberg. Von Weg kann man eigentlich gar nicht sprechen, erneut ist der Wanderweg als Leitungstrasse erwählt worden. Diesmal ist es eine Gasleitung. Da der Untergrund hier offenbar sehr felsig ist, muß das Fahrrad meist über groben Schotter geschoben werden. Aber auch dieses anstrengende Stück ist bald überwunden und hinein geht es nach Marsberg.


Nach Detmold ist dies die erste Stadt durch die der Weg führt. Hier ist ordentlich etwas los. In einer Drogerie kaufe ich einen Diafilm, vielleicht funktioniert der Photoapparat ja doch noch. Der Weg nach Obermarsberg erweist sich als außerordentlich quälend. Auf einem schmalen Fußweg geht es in endlosen Serpentinen an einem steilen, düsteren Hang hinauf in den oberen Teil der Stadt. Herrschte unten noch ein städtisches Getümmel, herrscht hier oben plötzlich wieder eine kleinstädtische Ruhe. Völlig unerwartet ist die Fortsetzung des Weges mal wieder nicht auszumachen. Egal - nach diesem anstrengenden Aufstieg läuft mir der Schweiß aus allen Poren, gibt es hier einen Milchladen? In dem kleinen Lebensmittelladen werde ich an den Bäcker weiterverwiesen. Dort bekomme ich dann auch 2 Liter und wasche mir in der großen Backstubenküche die Hände und fülle die Fahrradflasche mit Wasser auf. Es ist jetzt 16:50 Uhr. Auch von hier hat man wieder einen sehr schönen Rundblick und gute Fernsicht nach Süden und Osten. Die Sonne scheint noch immer. Bevor es weitergeht wechsle ich den Film.


Fast 1½ Stunden später, um 18:15 Uhr, sitze ich auf einer Bank oberhalb von Giershagen. Der Weg hierher war, bis auf eine Ausnahme, wieder mal sehr schön und angenehm zu fahren. Teilweise war es wie auf dem Soleleitungsweg bei Ramsau. Dann folgte aber auch schon der Dämpfer, mitten im Wald führt der Weg durch eine verwilderte Pappelallee, der Fahrweg gut brusthoch mit Brennesseln zugewachsen. Da ich vorhin zu Faul war mir eine lange Hose anzuziehen, muß ich nun leiden und kraaaaatzen! Kurz vor G'hagen finde ich eine idyllisch gelegene Kneipanlage. Zu gern hätte ich diese Mißbraucht und mir zumindest die Haare gewaschen. Leider kommen gerade in diesem Augenblick die Bauern um die Kühe auf der gegenüberliegenden Weide zu melken. Also lieber weiterfahren! Biege aufgrund falscher Wegemarkierung falsch ab und erreiche den Ort über einen ziemlichen (steilen) Umweg am Nordausgang. Seit etwa 15:00 Uhr bin ja mal wieder außerhalb meiner Karten. Erst in Adorf hilft mir Blatt 11 wieder in Zweifelsfragen weiter. Zum Glück findet sich auch in diesem Nest wieder ein Krämerladen in dem ich mich erneut mit Milch versorgen kann. Die Landschaft wird immer bergiger. Die Abendsonne steht immer noch recht hoch am Himmel; so kann ich leider den wunderbaren Blick nach Westen nicht fotografieren. Nach einer Viertelstunde Rast geht es dann um 18:30 Uhr weiter.


Wunderbare Wege für das Fahrrad, lange Abfahrten über einsame Asphaltwege. Weit reicht der Blick über das bergige Land mit den vielen Wiesen. Leider gibt es dann vor Adorf dann noch diesen letzten Schlenker mit dieser Abfahrt, die gaaanz tief hinabführt - und logischerweise sofort auch wieder gaaanz zackig wieder hinaufgeht. Aber um 19:00 Uhr ist es erst einmal geschafft; Adorf ist erreicht. Von einer einsamen Telefonzelle rufe ich in Hamburg an und gebe meinen Lagebericht bei Piepsi und Robert. Der Abend naht, jetzt muß ich einen Lagerplatz finden! Die Weiterfahrt wird zum Puzzlespiel. Ich folge zwar dem Kreuz, aber das reicht nicht aus - alle Wege haben hier ein Kreuz. Obwohl ich einen Einheimischen befrage fahre ich zweimal falsch. Erst beim dritten Anlauf finde ich dann den Richtigen; mein Weg hat den Zusatz L6. Die Zeit wird langsam knapp. Steil geht es nun hinauf zum Rottenberg, den ich in hetziger Fahrt ganz umrunde. Zum Lagern ist es hier völlig ungeeignet, nirgends gibt es eine ebene Fläche wo das Zelt hinpassen würde. Die Sonne ist jetzt bereits untergegangen, es wird nun schlagartig dunkel. Schon bin ich in Benkhausen, hier ist nicht mal ein Gasthof zum Übernachten. Aus den Wiesen steigt der Nebel. Mir wird's jetzt mulmig! Doch dann habe ich wieder einmal Glück, erneut taucht vor mir eine Kneipanlage mit Spielplatz und ein Grillplatz mit einem großen Unterstand auf. Hier bleibe ich! Etwa um 20:30 Uhr, noch erhitzt von der Fahrt ziehe ich mich nackt aus und springe in das Kneipbecken. Obwohl das Wasser natürlich saukalt ist, wasche ich mich ausgiebig von Kopf bis Fuß. Die Sicht beträgt jetzt wohl nur noch etwa hundert Meter, alles ist in Abendnebel gehüllt. In wenigen Minuten wird es dann auch dunkel sein. Nachdem ich mich abgetrocknet habe laufe ich noch ein paar Runden über den Spielplatz um wieder warm zu werden. Wohlig warm, sauber und erfrischt sitze ich nun, nur mit Unterwäsche bekleidet, im Unterstand und schreibe unter dem Licht der kleinen Taschenlampe diese Zeilen. Habe beschlossen mich mit der Luftmatratze auf eine Bank zu legen. Es ist jetzt 21:15 Uhr, mir wird es nun doch kalt, ich fange an zu frieren. Die Last des Tages macht sich jetzt mit aller Macht bemerkbar - also ab in den Schlafsack. Trotz der späten Stunde rumort es in der Ferne, ein Trecker rumpelt endlos im Scheinwerferlicht über einen Acker; verdammt ich bin doch so müde und muß schlafen.


Der Tacho zeigt für den vierten Tag folgende Daten :

Zeit (Brutto) = 08:40 - 20:10 = 11:30 Stunden
(Netto) = = 8:30 "
Fahrstrecke = = 75 km
øGeschw. = = 8,6 "
Gesamtstrecke = = 239 "



5.Tag, Freitag 09.09.1988

Werde durch ein vorbeifahrendes Auto um 7:10 Uhr geweckt und stehe gleich auf. Es ist mörderisch kalt und total nebelig. Heut muß ich wohl doch vorerst eine lange Hose (und ein frisches Hemd) anziehen. Trotz der Ganzkörperwäsche gestern Abend riecht alles an mir irgendwie muffelig. Erneut befreie ich mich von Ballast : Brot, Butter, Haferflockenmischung und Benzinflasche sind diesmal dran. Die Nacht auf der schmalen Banke war leider alles andere als bequem! Um 8:00 Uhr geht es dann ohne Frühstück los. Wie bereits gestern morgen habe ich auch heute wieder leichte Kopfschmerzen.


Durch nebliges Wiesengelände geht die Fahrt leicht bergab über Schweinsbühl bis nach Deisfeld. Hier kann man zwar sehr gut fahren, aber die Morgenkälte macht mir doch recht zu schaffen. Hinter Deisfeld geht es dann wieder steil empor. Die Sonne ist inzwischen herausgekommen; die Kopfschmerzen sind verschwunden. Es wird wohl wieder ein wunderschöner Tag werden. Um 9:30 Uhr mache ich, oben angekommen kurze Pause und ziehe wieder meine kurzen Hosen an. Meine Beine sind wie aus Pudding! Die Landschaft hat Almen-Charakter - wirklich herrlich ist es hier. da sage doch noch mal einer was gegen das Sauerland! Weiter geht es nach Schwalefeld. Der Ort liegt in einem engen Tal, den Weg hinab muß ich teilweise absteigen, so steil ist es hier. In einem Laden versorge ich mich mit neuem Proviant. Natürlich wieder Milch, aber auch Apfelmus und Hohes-C werden teils verstaut oder sofort gegessen. Erfrischt und guten Mutes geht es 10:30 Uhr weiter nach Villingen.


Der Hüpfer über den Iberg erscheint mir nicht unbedingt erforderlich, also fahre ich ein gutes Stück über die Bundesstraße. Recht schnell ist dann Villingen erreicht; ein großer Kurort mit Kurpark, Ferienwohnanlagen, Sportplätzen, Skiliften etc. Da ich keine Einkäufe zu erledigen habe geht es bald wieder auf Wanderwegen aus dem Trubel hinaus. Durch das Hoppecke-Tal, welches teilweise an den Weg ins Hirschbichel erinnert, geht es auf gut fahrbaren Wegen wieder sanft empor. Mit mehr Kraft durchaus gut mit dem Rad zu schaffen, leider muß ich immer mal wieder absteigen und schieben, die Anstrengungen der letzten Tage machen sich jetzt bei jeder Steigung sofort bemerkbar! Von merkwürdigen Geräuschen der Gangschaltung aufmerksam gemacht, muß ich zu meinem Schrecken feststellen, daß bei 2 hinteren Zahnrädern diverse Zähne herausgebrochen sind. Hoffentlich komme ich damit noch auf den Kahlen Asten und bis nach Siegen! Ein Spaziergänger mit dem ich ins Gespräch komme macht mir wieder Mut, so schlimm soll es gar nicht sein dort hinauf zu kommen. Nun, wir werden sehen!


Um 12:00 Uhr sitze ich am Rande des Naturschutzgebietes Neuer Hagen, einem Hochmoor. Hier sind eine ganze Menge Spaziergänger unterwegs, da eine Straße von Niedersfeld heraufführt. Weiterfahrt um 12:30 Uhr. Verliere den Weg vor und hinter Niedersfeld, furchtbar, alle Wege haben hier das Andreaskreuz. Mal sieht man nur das Kreuz, dann mit einer zusätzlichen Zahl, mal muß ich X16 folgen, dann X2! Erst beim St. Blasius treffe ich wieder auf den rechten Weg, hier ist dieser nur mit einem X markiert. Ziemlich entnervt mache ich kurz darauf eine ausgiebige Protzrast von 13:30 bis 14:00 Uhr. Die Sonne prallt erbarmungslos auf mich herab. Weiter geht's hinab nach Silbach. Hier muß ich absteigen, so steil war noch keine Straßenabfahrt. Kaum im Talgrund angekommen, geht es auch schon wieder hinauf, natürlich ebenso steil! Der weitere Weg bis zum Kahlen Asten (841m) führt dann aber erfreulicherweise über recht mäßige Steigungen und sehr gut fahrbare Wege. Mit besserem Training hätte man es sicher ohne schieben bis oben geschafft. Aber auch schiebend komme ich ganz gut oben an; es ist jetzt 15:45 Uhr. Während meiner ausgiebigen Rast klöne ich mit einem Rentnerehepaar aus dem Ruhrgebiet. Ohne den Aussichtsturm hat man leider keine Sicht auf das umgebende Land. Trotzdem komme ich nicht auf den Gedanken dort einmal hochzugehen. Lieber hole ich mir zur Erfrischung eine Dose Cola und ein Eis, allerdings zu Wucherpreisen. Nach einer halben Stunde Rast geht es dann um 16:15 Uhr wieder weiter. Logischerweise geht es nun permanent bergab. Wie ein Blitz sause ich die Wege hinab. Um 16:40 Uhr stehe ich bereits auf dem Hohen Hals; hier auf dem Bergkamm befindet sich, versteckt im Wald ein feines Sporthotel. Ein Blick auf die Speisekarte läßt mich ins Träumen kommen. Vernünftigerweise begnügt sich mein Magen dann aber mit etwas Studentenfutter, welches ich während der Kurzrast auf einer Banke neben dem Parkplatz nasche. Ruck Zuck ist dann Westfeld erreicht, hier können meine Milchvorräte wieder aufgefüllt werden. Ohne Schwierigkeiten geht's von hier aus nach Oberkirchen.


Was der Kahle Asten nicht schaffte, der Weg von hier hinauf nach Schanze, schafft mich! Völlig entnervt erreiche ich etwa 18:45 Uhr das hoch und einsam gelegene Wintersportgebiet. Neben einigen Lokalen findet sich hier auch eine Telefonzelle, da wollen wir doch gleich mal in Hamburg anrufen. Das Gespräch mit Petra und Robert hat mir wieder etwas Mut gemacht, trotzdem muß ich mir eingestehen, daß der heutige Tag meine Körperkräfte fast völlig aufgezehrt hat. Unter einem Baum am Ortsausgang mache ich eine weitere Kurzrast. Die Tagesetappen sind für dieses bergige Land wohl doch zu gewaltig! Ich fühle mich plötzlich sehr einsam und verlassen. Es ist schon so spät - die Fahrt muß jetzt unbedingt weitergehen! Zum Glück geht es von hier aus in rasender Fahrt fast stetig bergab. An Kühude (großer Fußballplatz, sonst nichts!) vorbei fliegt mein Rad über einsame Waldwege in Richtung Bad Berleburg. Mit dieser Geschwindigkeit mache ich den Kilometer in Minuten. Hier im Wald wird es schon ziemlich Dunkel, eigentlich dürfte man nicht mehr so schnell fahren. Am Wegesrand tauchen vor mir plötzlich einige Gestalten, wahrscheinlich Waldarbeiter, auf, die sich ein Lagerfeuer anzünden. Die sind wohl genauso überrascht wie ich, doch schon sind sie weit hinter mir. Einen nutzlosen Buckel lasse ich unterwegs aus, die Umfahrung über einen Forstweg ist bequemer und schneller. Die 12 km von Schanze bis Berleburg sind dann auch wenige Minuten vor 20:00 Uhr geschafft. Sehr Schade, daß die Zeit mich so treibt, allein das Schloß wäre sicherlich etwas Zeit wert gewesen. Aber die Sonne ist jetzt gerade untergegangen, viel Zeit bleibt mir nicht mehr, ich radle jetzt wie ein Wilder. Die Gegend bis zur Ortschaft Raumland ist zum Lagern völlig ungeeignet. Alles noch bebaut und einsichtig. In Raumland angekommen wird es schlagartig dunkel. In letzter Not findet sich dann oberhalb des Ortes ein hoffentlich brauchbarer Platz in einem lichten Nadelwald. Dank langjähriger Übung baut sich das Zelt wie von selbst auf. Mein Hinter macht mir heute aber sehr zu schaffen, ich muß ihn gleich mal dick eincremen - oh, wenn ich mich doch nur mal wieder waschen könnte. Völlig erschöpft liege ich im Zelt. Bis Siegen sind es lt. Führer noch etwa 56 km.


Der Tacho zeigt für den fünften Tag folgende Daten :

Zeit (Brutto) = 08:00 - 20:30 = 12:30 Stunden
(Netto) = = 9:30 "
Fahrstrecke = = 81 km
øGeschw. = = 8,5 "
Gesamtstrecke = = 320 "



6.Tag, Samstag 10.09.1988

Das Gebimmel von Kuhglocken läutet für mich den wohl letzten Tag dieser Tour ein. Es ist jetzt 7:00 Uhr. Es ist empfindlich kalt, alle Sachen klamm. Erst nach einer halben Stunde schäle ich mich aus dem warmen Schlafsack. Leider war auch dieser Nachtplatz recht schief gelegen, besonders gut war der Nachtschlaf wieder nicht. Ich fühle mich gemartert und schlapp. Wie schon an den anderen Tagen, kommt auch heute die Sonne schon beim Lagerabbau hoch und es verspricht ein ebenso schöner Tag zu werden. Aufbruch um 8:10 Uhr. Komme zunächst überhaupt nicht voran. Mein Körper schmerzt an jeder nur denkbaren Stelle. Die Sonne treibt die Nebel empor; ich friere an den Beinen erbärmlich - hätte wohl doch lieber erst einmal lange Hosen anziehen sollen. Nach einer Stunde, in der Nähe der Hirtenbuche, wird die morgendliche gemütliche Protzrast eingelegt, jetzt geht es doch schon sehr viel besser! Sonne und blauer Himmel, meine Stimmung ist jetzt wieder in Ordnung. In flotter Fahrt geht es sanft bergab nach Stünzel. Ruck zuck bin ich dort. Ein freundliches Pferdchen auf der Weide begrüßt mich mit aufgeregtem hin- und herlaufen. Die wenigen, weit auseinanderliegenden Häuschen liegen schon bald hinter mir, weiter geht es nun nach Bad Laasphe. Auch die nun folgenden Wege sind mit dem Fahrrad sehr gut zu fahren, fast immer geht es leicht bergab. Leider dringt durch die dichten Laubwälder kein Sonnenstrahl. Innerhalb kürzester Zeit ist dann, vorbei am Schloß Wittgenstein, um 10:30 Uhr der Kurort Bad Laasphe erreicht. Am Ortseingang findet sich schnell eine Telefonzelle; von hier aus letzter Kontakt mit Petra. Voraussichtlich werde ich um 17:00 Uhr Siegen erreichen. Überschlägig sind es noch etwa 38 km; 6½ Stunden inklusive Pausen sollten also reichlich genug sein. Zum Milchholen muß ich ein ganzes Stück in den langgestreckten Ort hineinfahren. Mann, ist hier vielleicht ein Betrieb! Dank des städtischen Charakters findet sich hier nicht einmal ein Brunnen zum Händewaschen; furchtbar, wenn man am ganzen Körper schmutzig und klebrig ist! Im Supermarkt holt mich dann schon fast wieder der Alltag ein, für die Rückfahrt gönne ich mir eine Computerzeitschrift. Um 11:15 Uhr geht es dann hinaus aus der Stadt, zurück in den Wald.


Natürlich erst einmal wieder stetig bergauf! Am "Großen Buchholz" will ich mal wieder etwas abkürzen, komme dadurch am sehr schön gelegenen Forsthaus "Hof Breitenbach" vorbei - aber Weg ist dadurch wohl nicht eingespart worden. Kurz darauf geht es dann steil hinab zum Ilsetal. Der Weg hinunter ist so steil, daß das Rad geschoben (gebremst!) werden muß. Unten angekommen befinde ich mich in einem einsamen, idyllischen Tal in dessen Mitte das Bächlein "Ilse" plätschert. Leider findet sich lange Zeit keine Stelle zum Händewaschen. Auf der Karte erkenne ich, daß die einsame Straße auf der anderen Talseite bis nach Heiligenborn führt; wenn ich dort hinüberkommen könnte, werde ich sie (ausnahmsweise) mal benutzen! Es ist jetzt 12:30 Uhr, die Sonne stich erbarmungslos auf mich hinab. Im engen Tal rührt sich kein Lüftchen. Endlich findet sich eine kleine Brücke auf der die Ilse trockenen Fußes überquert werden, sogar ist nun endlich einmal wieder möglich! Sehr bald ertrinkt meine gute Stimmung aber in meinem eigenen Schweiß: Die Straße verläuft jetzt in der prallen Sonne, außerdem geht es ständig und immer steiler werdend bergan. Schließlich und endlich ist dann Heiligenborn erreicht. Ich will erneut abkürzen - doch auch hier muß ich erst einmal wieder kräftig schieben (nachdem ich Augenblicke vorher mit qualmenden Bremsen abfahren mußte!). Dann aber belohnt mich eine herrliche Abfahrt auf einsamer Straße bis zum Lahnhof.


Es ist jetzt 13:45 Uhr. Laut Wanderführer sind es jetzt noch 20 km, die Wegweiser sprechen aber von 24 km - wir werden sehen! Nach kurzer Pause geht die Fahrt schon wieder weiter.


Nach nur einer Stunde ist Deutz erreicht. Bis hierher ging es die gesamte Strecke nur abwärts. Die Wege zudem sehr gut fahrbar. Mal wieder ein dreifaches Horrido auf mein Fahrrad! Es müssen jetzt noch etwa 10 km sein, gerade konnte ich das Kartenblatt 18 (das Letzte) in das Sichtfenster meiner Lenkertasche stecken. Werde jetzt eine halbe Stunde Rast bis 15:45 Uhr machen und ein wenig im Computerheft schmökern. Beim Hochkommen wird mir ganz schwindelig - bloß keine Pausen mehr machen! Die Strecke bis Siegen ist jetzt nicht mehr so schön. Die lange Rast hat mich unverständlicherweise völlig schlapp gemacht. Scheinbar endlos führt der Weg hinauf; schließlich, schon inmitten von Samstagsspaziergängern aus Siegen, auch wieder hinab. Endlich sind die ersten Häuser von Siegen erreicht. Eine recht große Stadt, die überall die Hänge des verzweigten Tales hinaufkriecht. Über endlose Treppen und schmale Wege geht es hinab. Die Markierungszeichen sind sehr schwer auszumachen. Dann wird es mir zu dumm, der Bahnhof muß in der Talsohle liegen, auf der Straße geht es sicherlich schneller voran. Mit etwas Glück komme ich dann auch Punkt 17:00 Uhr am Bahnhof an, Andy und Matthias kommen gerade um die Ecke gebogen (allerdings waren sie schon einmal um den Block gefahren). Auf dem Parkplatz vor dem Bahnhofsgebäude entladen wir das Rad und verstauen es auf dem Dach; kurz vor 18:00 Uhr bin ich umgezogen und reisefertig.


Obwohl wir eine ganze Weile suchen, findet sich kein einladendes Restaurant in dem wir speisen können. Also, auf nach Hause! Nach gemütlicher Fahrt (ganz schön weit!) kommen wir gegen 23:00 Uhr heil in Hamburg an. Jetzt haben wir aber alle einen Mordshunger. Da hat der Grieche bei Matthias gerade die richtigen Portionen! Nachdem die knurrenden Mägen befriedigt sind, geht es nun endlich nach Hause zu Petra und Robert - die Tour ist zu Ende! Ich kann es noch gar nicht fassen.


Der Tacho zeigt für den sechsten Tag folgende Daten :

Zeit (Brutto) = 08:00 - 17:00 = 9:00 Stunden
(Netto) = = 6:30 "
Fahrstrecke = = 61 km
øGeschw. = = 9,3 "
Gesamtstrecke = = 381 "

Für die gesamte Tour ergeben sich pro Tag folgende Durchschnittswerte :

øZeit (Brutto) = 10:30 Stunden
(Netto) = 7:15 "
øFahrstrecke = 64 km
øGeschw. = 8,7 "


Du bist Leser Nummer seit dem 23. Juni 1998

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