Radwanderung


April 1988










von

Blankenese


nach

Bad Nenndorf



1.Tag, Freitag 01.04.1988


Nach kurzem Frühstück kommen Vati und Andy gegen 8:30 Uhr. Während Andy sein Rad zusammenmontiert, packe ich noch die letzten Sachen. Robert wieselt um uns herum und ist vermutlich sehr aufgeregt. Etwa 9:10 Uhr geht es dann los. Über den Sülldorfer Kirchenweg (die erste Steigung, puhst) geht es in aller Eile zum Fähranleger Blankenese. Als wir dort um 9:25 Uhr eintreffen werden wir von Petra und Robert begrüßt, das ist aber eine Überraschung! Sofort geht es auf das Schiff. Nachdem noch zwei Abschiedsfotos gemacht wurden legt das Schiff auch schon ab und es geht los. Verwirrt und traurig stehen Robert und Piepsi auf dem Ponton. Der Himmel ist grau in grau, es ist recht diesig und kühl aber trocken. Robert winkt noch lange seinem Papa und dem Onkel Andy nach. Schnell geht es über die Elbe und schon nach wenigen Minuten geht es durch das Estesperrwerk. Um 9:50 Uhr sind wir in Cranz und wir wuchten unsere Fahrräder aus dem Schiff. Mit an Bord ist noch ein anderer Radfahrer der offenbar ebenfalls zu einer längeren Radtour starten will, doch bereits nach kurzer Strecke trennen sich unsere Wege. In einem großen Bogen geht es zuerst über die Brücke des alten Estesperrwerkes und dann auf dem Deich nach Neuenfelde. Von hier ab geht es dann in vielen Kehren immer auf oder neben der Straße durch das Obstanbaugebiet Richtung Harburger Berge. Wie wir später feststellen müssen, verpassen wir jedoch einen Abzweig und kommen in Neu Wulmsdorf und nicht in Fischbek an. Dummerweise haben wir von dieser Gegend keinerlei Kartenmaterial. Um 11:00 Uhr (1¼ Std., 19,2 km, 14,9 km ø) machen wir eine erste Kurzrast neben einer Müllkippe. Den richtigen Weg haben wir noch nicht wiedergefunden. Erst hier wird die Gegend wieder "wanderbar", bisher wäre es zu Fuß doch recht nervtötend gewesen. Die nächste Rast erfolgt dann um 12:15 Uhr vor der Karlsteinschänke (2¼ Std., 32 km, 14,4 km ø). Erst hier stoßen wir wieder auf unseren Wanderweg! Meine Irrung hat sich nämlich sehr negativ ausgewirkt: In der Annahme, wir wären in Neu Wulmsdorf zu weit östlich!, sind wir nach Westen ausgewichen. Nach mehreren Irrwegen haben wir dann erst in Ovelgönne gemerkt das dies absolut falsch war - in Neu Wulmsdorf waren wir ja schon zu weit westlich! In Elsdorf fanden wir dann an der Straße eine Wanderkarte mit deren Hilfe wir uns orientieren und den Weg bis zur Karlsteinschänke bestimmen konnten. Meine Coca Cola schmeckt übrigens herrlich - nach Seife! Petra hat es beim Reinigen der Flasche mit der Dosierung des Spülmittels besonders gut gemeint, nur das Ausspülen war wohl nicht mehr so wichtig. Die Karlsteinschänke befindet sich übrigens an der Straße wo wir früher öfters in den Wald gefahren sind. Nach kurzer Rast geht es bereits um 12:30 Uhr weiter. Auf der Brücke über die Autobahn nach Bremen machen wir 45 Minuten später eine kurze Zigarettenpause (natürlich raucht nur Andy!). Die hinter uns liegende Wegstrecke war die reinste Schlammschlacht. Vorankommen war nur noch mit der kleinsten Übersetzung möglich. Mehr Gepäck darf es auf keinen Fall sein. Einige Male mußten wir bei extremen Steigungen und besonders matschigen Stellen sogar schieben. Unsere Durchschnittsgeschwindigkeit sinkt jetzt beständig. Das Wetter ist nach wie vor düster, der Atem bildet sogar Kondensnebel; aber immerhin ist es trocken. Nachdem die kurze Rast dann doch noch eine volle halbe Stunde gedauert hat, geht es weiter nach Buchholz. Bereits nach einer weiteren halben Stunde machen wir dann unsere Mittagsrast in Höhe der Abdeckerei bei Steinbeck. Andy fühlt sich völlig marode, auch hier sind die Wege größtenteils nur Schlammpisten. Nach den Regenfällen in den letzten Wochen allerdings auch kaum anders zu erwarten. Das Fahren strengt wirklich sehr an. Zum Glück bin ich noch in Ordnung. Unser Fahrtziel werden wir heute nicht erreichen, das Vorankommen geht jetzt doch viel langsamer als angenommen. Ein Fußwanderer, den wir bei der Karlsteinschänke überholten, zieht während unserer Rast leichtfüßig an uns vorbei! Das Wetter ist nach wie vor undefinierbar. Um 14:15 Uhr geht es wieder los. Eine Stunde später sitzen wir am Fuße des Brunsberges. Erneut haben wir die Wanderstrecke wenigstens 3x verloren. Weiterhin sind die Wege meist unpassierbar, immer wieder müssen wir absteigen und schieben. Eine seitliche Befestigungslasche meiner Packtaschen ist abgerissen, und das sollen Profi-Packtaschen sein! Wenn das man kein böses Omen ist. Es ist jetzt empfindlich kalt geworden. Schiebenderweise geht es dann hinauf auf den Brunsberg. Hier sind trotz des unfreundlichen Wetters recht viele Spaziergänger unterwegs. Bergab geht es dann weiter auf bekannten Wegen Richtung Handeloh. Die Wege werden jetzt wieder trockener und besser befahrbar. Nach einer weiteren Stunde sind wir dann in Handeloh. In der oftbesuchten "Rülpskneipe-Körner" kehren wir ein. Händewaschen, Flaschen mit Cola auffüllen und für jeden einen Eisbecher - jetzt geht es mit unserer Stimmung wieder bergauf. An der Seeve entlang fahren wir nun in die Heide durch das Dörflein Wehlen in Richtung Undeloh. Die Wege sind hier zwar trockener, dafür aber natürlich sandig. Oft müssen wir jetzt wieder absteigen und schieben. Langsam spüren wir die Last dieses für uns so ungewohnten Tages. Im Meininger Holz, etwa 5 km nördlich des Wilseder Berges, beziehen wir dann auch um 18:10 Uhr unser Nachtlager. Bereits nach einer halben Stunde steht das Zelt und das Gepäck ist ausgeladen. Nachdem die Luftmatratzen aufgeblasen sind, wollen wir unser Feuerchen machen. Mit Esbit geht's dann auch ganz gut an und jeder von uns ißt 2 Brötchen und 5 verkohlte Nürnberger Bratwürstchen. Noch ehe das letzte Feuerholz aufgebrannt, ist auch 1 Liter Quench ausgezecht. Leider brauchen wir die zweite Flasche für unser Frühstück. Die Coca Cola wurde schon vor geraumer Zeit geleert. Unser Durst ist wirklich ganz enorm. Es ist jetzt gleich 20:00 Uhr, das Feuer verglimmt langsam und in wenigen Minuten werden wir wohl in unsere Schlafsäcke kriechen und bestimmt gut schlafen.


Der Tacho zeigt für den ersten Tag folgende Daten :

Zeit (Brutto) = 09:10 - 18:10 = 9:00 Stunden
(Netto) = = 6:00 "
Fahrstrecke = = 68 km
øGeschw. = = 11,4 "
Gesamtstrecke = = 68 "



2.Tag, Samstag 02.04.1988

War es mir gestern Abend noch viel zu warm in meinem Schlafsack, so ist es heute morgen doch empfindlich kühl. Wir stehen etwa 7:30 Uhr auf. Packen und Frühstück werden bis 8:55 Uhr erledigt. Der Himmel ist wieder grau in grau, aber zumindest trocken. Nachdem der Tacho auf Null gestellt ist, brechen wir dann um 9:00 Uhr zum Wilseder Berg auf. Schon 35 Minuten später sind wir schiebenderweise auf dem "Gipfel" angelangt. Rings um uns herum ist alles in feuchte, neblige Schwaden eingehüllt. Die Sicht demzufolge gleich Null. Meine Minox ist wohl mal wieder ohne Strom?! Nun aber weiter nach Bispingen. Den Schlenker des Wanderweges über Undeloh haben wir übrigens bewußt ausgelassen, zu oft waren wir doch schon hier in dieser Gegend. Flott geht es den Berg hinab und durch den winzigen Ort Wilsede hindurch. Hier ist um diese Uhrzeit noch keine Menschenseele im Nebel zu erblicken. Zum Glück lichtet sich der Dunst allmählich. Hinter Wilsede geht es dann hinab durch den Totengrund. Im Rausch der flotten Abfahrt verpassen wir prompt wieder einmal einen Abzweig des Weges und machen einen kleinen Umweg. Durch ungeschicktes herumfummeln am Tacho stelle ich diesen kurz vor Behringen, genau einen Stunde nach der morgendlichen Abfahrt, auf Null - so was dummes! Wenige Minuten später erreichen wir den Startpunkt unserer Fußwanderung 1986. Flott geht es von hier aus über asphaltierte Wege nach Behringen. Sand und teilweise wieder schlammige Wege vor Bispingen zwingen uns dann jedoch bald wieder das Rad recht oft zu schieben. Um 11:00 Uhr erreichen wir dann Bispingen, hier ausgiebige Einkaufsrast. Batterien für die Minox gibt es hier leider nicht - na, dann wird es wohl auch keine Fotos mehr geben?! Während wir genüßlich unser zweites Frühstück verspeisen, bricht etwa 11:35 Uhr das erste Mal zaghaft die Sonne durch. Bereits um 12:00 Uhr sind wir an der JH Bispingen vorbei und querab des '86er Nachtlagers. Der Himmel ist jetzt fast wolkenfrei, tiefblau und die Sonne scheint herrlich. Leider schmerzt mein Rücken etwas. Den Weg haben wir übrigens wie auch schon das letzte Mal auf dem Abenteuerspielplatz verloren. Vorbei an der Luhequelle geht es nun am Rande der Truppenübungsplätze Richtung Soltau. Dieses Wegstück ist leider nicht so schön, zu allem Überfluß sind wir nämlich im Westen auch noch von der Autobahn mit den dröhnenden Autos eingeschlossen. Doch zum Glück wendet sich der Weg dann bald wieder in Richtung Osten und es geht durch schöne Wälder nach Stübeckshorn. Das Wetter wird immer besser, ich kann meinen Anorak jetzt ausziehen. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau - herrlich! Jetzt zeigt sich auch bei Andys Ausrüstung der erste Schaden: Die Speichenschutzscheibe auf der hinteren Radnabe ist lose und nervt durch rhythmisches Geräusch. Leider gelingt es uns nicht den Störenfried abzubauen - Andy wird sich an das Geklapper gewöhnen müssen! Um 13:15 Uhr sind wir kurz vor dem Campingplatz "Skandinavia"; hier waren wir damals vom Weg abgekommen und mußten in der Folge direkt neben der Autobahn und dann lange Zeit über langweilige Straßen nach Soltau hineinkriechen. Der richtige Weg führt schon vor dem Campingplatz unter der Autobahn hindurch. Auf einer kleinen Brücke über einen Bach klönen wir längere Zeit mit einem älteren Wandererehepaar aus Hamburg. Etwa 14:00 Uhr sind wir dann im Centrum von Soltau. Obwohl heute verkaufsoffener Samstag ist, kann ich auch hier keine Batterien für die Minox bekommen - schade! Durch Soltau hindurch geht es dann in rasanter Fahrt bis zum Öhlshof. Hier lagen wir '86 völlig erschöpft in der Mittagshitze. In wesentlich besserer Verfassung, lediglich der Hintern schmerzt etwas, machen wir heute eine ausgie­bige, gemütliche Mittagsrast bis kurz nach 15:00 Uhr. In der Ferne hören wir schon wieder die Autobahn, die gleich erneut überquert werden muß. Die nächsten Ziele sind Lührsbockel und Dehnernbockel. Diese beiden winzigen Dörfer wirken auch jetzt wieder völlig ausgestorben. An der Straße, nahe des Campingplatzes "California", machen wir um 16:00 Uhr eine Kurzrast. Jetzt ist es nicht mehr weit bis Wietzendorf. Eine halbe Stunde später rollen wir dann hindurch, auch dieses Nest ist genauso Tot wie vor 2 Jahren! Die Sonne scheint immer noch, von Norden nähert sich jedoch eine bedrohlich dunkle Wolkenfront - hoffentlich bleibt uns das erspart! Hinter dem Ort geht es am Mückenwald (unserem damaligen zweiten Nachtlager) vorbei nach Müden. Wir befinden uns hier wieder am Rande der Truppenübungsplätze. Um 17:00 Uhr stehen wir am Beginn des endlosen Panzertracks der schnurgerade nach Müden führt. Nach kurzer Lagebesprechung und Andys abprotzen beschließen wir auch diesmal auf Müden (und den quälenden Weg) zu verzichten. Denn rechts herum führt ein asphaltierter Feldweg nach Hermannsburg - das ist doch zu toll! Schon 17:50 Uhr sitzen wir dann auch schon mit hochgekrämpelten Ärmeln vor einem Imbiß in Hermannsburg. Die Sonne scheint noch immer; vom Gewitter ist im Augenblick nichts zu sehen. Unsere Abkürzung hat sich diesmal wirklich gelohnt. Endlich einmal konnten wir so richtig Radfahren, außerdem ging es auch noch schnurgerade leicht bergab. Die übrigen Gäste des Imbiß sind etwas merkwürdige, schwarzgekleidete junge Burschen. Offenbar von der Wiking-Jugend; sie wirken jedoch recht unsicher und verschwinden auch bald humpelnder Weise wieder. Kurz nach 17:00 Uhr geht es dann auch schon weiter. Vorbei am Hallenbad und der Straßenmeisterei von Hermannsburg fahren wir jetzt in das Gebiet der Südheide, welches uns als besonders staubig, endlos und quälend in Erinnerung geblieben ist. Doch auch jetzt zeigt sich erneut die Überlegenheit des Fahrrades, mit flotter Geschwindigkeit und ohne drückenden Rucksack schaffen wir die ehemals entnervende Strecke. 18:45 Uhr, immer noch nur mit Hemd, erklimmen wir in der Abendsonne den "Kalvarienberg" kurz vor den großen Fischteichen. Andy schafft's nicht ganz, ich komme mit schmerzenden Oberschenkeln und pumpendem Atem auf der Kuppe an. Von hier aus wieder der bekannte schöne Ausblick auf die umliegenden, noch jungen Nadelwälder. Nach kurzer Verschnaufpause geht es dann hinab zum Rast- und Spielplatz am Fischteich. Hinter einer Kiefernanpflanzung die Sichtschutz vor dem Fahrweg aus bietet bauen wir unser Zelt auf. Während Andreas ja schon vorhin abgeprotzt hat, bin ich jetzt dran - nach den Mühen dieses langen Tages eine wohlverdiente Erleichterung. Nach dem üblichen Aus- und Umpacken, dem Aufblasen der Luftmatratzen und aufschütteln der Schlafsäcke bereitet Andy auf einer Banke am Rande des Rastplatzes unser Süppchen vor. In der Zwischenzeit vollziehe ich an der großen Tränke eine Komplettwäsche, vor allem Po und Schritt müssen reichlich eingeseift und geschrubbt werden. Brrr - ist das Wasser kalt! Nach dem Abruffeln wird alles üppig eingepudert und zur Feier des Tages neue Wäsche angezogen. Von der inzwischen warmgewordenen Suppe essen wir mit viel Mühe nur die Hälfte, die Würstchen vorhin hätten eben doch gereicht. Nun ja, dann ist morgen, wenigstens das Gepäck etwas leichter. Es ist jetzt kurz vor 21:00 Uhr, es wird jetzt dunkel und empfindlich kalt. Die Nähe zum See wird wohl eine feuchtkalte Nacht bringen.


Der Tacho zeigt für den zweiten Tag folgende Daten :


Zeit (Brutto) = 09:00 - 19:00 = 10:00 Stunden
(Netto) = = 6:30 "
Fahrstrecke = = 87 km
øGeschw. = = 13,3 "
Gesamtstrecke = = 154 "



3.Tag, Sonntag 03.04.1988

Die letzte Nacht ist nun wirklich recht ungemütlich geworden! Beide sind wir mehrere Male aufgewacht. Etwa um 3:00 Uhr mußte ich sogar feststellen, das sogar das Innenzelt von einer dünnen Eisschicht überzogen ist. Als wir uns dann gegen 7:30 Uhr mit Unbehagen aus den Schlafsäcken schälen, ist das Innenzelt von einer Eis- zu einer Tropfsteinhöle geworden. Frierend und lustlos kriechen wir mit steifen Gliedern aus dem Zelt, draußen sind wir von einer dicken Nebelsuppe umgeben. Auch heute verlassen wir das Lager gegen 9:00 Uhr. Die Sicht beträgt jetzt etwa 150m. Wir glauben aber fest daran, das es auch heute wiederum schönes Wetter werden wird. Vorbei geht es am Bächlein, wo wir während unserer Fußwanderung unsere schmerzenden Füße gekühlt haben. Wenige Meter dahinter das kleine Forsthaus, alles liegt verlassen und nebelumwoben, keine Menschenseele weit und breit. Heute morgen erscheint uns selbst das Radfahren unangenehm, es ist wirklich empfindlich kühl! Um 9:55 Uhr erreichen wir dann neben den Schießständen einer Kaserne den Ort unserer letzten '86er Übernachtung. Das kleine Lärchenwäldchen liegt verlassen im dichten Nebel. Weiter geht es nach Celle. Durch verlassene Straßen geht es durch den Ort Scheuen, über den Segelflugplatz immer näher an Celle heran. Kurz vor 11:00 Uhr passieren wir die Celler Jugendherberge. In eisigem Wind geht es jetzt durch die verlassenen Straßen von Celle. An einem Sperrgitter demoliert Andy den rechten Schalter seiner Gangschaltung. Wenige Minuten später erreichen wir den Ausgangspunkt der '87er Tour. Trotz der unangenehmen Kälte, wir frieren beide an Händen und Füßen, machen wir auf einer Banke am Ende des Holperweges Brotzeit bis 11:30 Uhr. Ich habe leichte Kopfschmerzen, auch das linke Knie tut weh - so ein Mist! Durch schwerstgängige Wege, überall ringsum wird Holz eingeschlagen und dementsprechend sind die Wege ramponiert, fahren wir weiter in Richtung Fuhrberg. Nach zwanzig Minuten besonders anstrengender Fahrt überqueren wir die Bundesstraße und passieren kurz darauf das erste '87er Nachtlager. Von hier aus geht es endlos, schnurgerade an hölzernen Strommasten entlang gen Südwesten. Dies Wegstück ist ebenfalls beschwerlich zu fahren (Sand!) und besonders eintönig und entnervend. Aber auch diesen Abschnitt bringen wir hinter uns; gegen 12:45 Uhr erreichen wir das Gut Rixförde. Mir fällt das Fahren heute sehr schwer, die Kopfschmerzen quälen mich immer mehr. Eine viertel Stunde später muß Andy abprotzen, ich nehme 2 Togal-Tabletten. Um 14:00 Uhr sind wir endlich in Fuhrberg. Obwohl die letzte Strecke asphaltiert war, fühlen wir uns beide am Ende unserer Kräfte. Die meisten Wege sind völlig matschig und Pfütze ist neben Pfütze. Sehr oft müssen wir absteigen und schieben, auch unsere guten Räder mit der ausgezeichneten Gangschaltung helfen hier nicht mehr weiter. Auch nach Fuhrberg geht es zu unserem Leidwesen mit den Matschwegen weiter. Nachdem wir beide Autobahnen überquert haben ist vor und hinter Wennebostel endlich einmal wieder ein unbeschwertes Radfahren möglich. Dafür ist das letzte Wegstück vor dem Lönssee ein einziger Exzeß! Verwundern darf uns das jedoch nicht - hier war ja auch schon im letzten Jahr ein richtiges Sumpfgebiet. Wie Andy mit seinen Halbschuhen hier trockenen Fußes durchkommt ist mir ein Rätsel. Beim Naturfreundehaus oberhalb des Lönssees treffen wir etwa 15:45 Uhr ein. Seit wenigen Minuten scheint auch die Sonne. Viel verhaltener als gestern, aber immerhin! Verdienterweise genehmigen wir uns jeder 2 Schinkenbrote und insgesamt 8 Flaschen (0.33 ltr.) Cola, wovon allerdings die Hälfte mitgenommen wird. Wir sitzen hier im Garten und werden von den anderen Gästen neugierig beäugt. Nach 45 Minuten Rast, Händewaschen und Auffüllen der Wasserflaschen ist wieder Aufbruch. Um 18:00 Uhr, also 1½ Stunden später, stehen wir querab des kleinen Wäldchens im Otternhagener Moor, wo wir die dritte '87er Übernachtung hatten. Auch die Wege hinter dem Lönssee waren wieder größtenteils extrem matschig. Die Abendsonne scheint jetzt wunderbar, unsere Stimmung ist doch gleich wieder besser geworden. Im Eiltempo geht es auf meist guten Wegen um das Moor. Während unseres Fußmarsches sind wir ja hier wegen Andys kaputtem Fuß geradezu längsgekrochen! Wir bleiben zwar länger auf dem richtigen Weg als letztes Jahr, verlieren ihn dann aber doch noch. Andy bleibt kurz vor Otternhagen weit zurück. Als er auch nicht aufschließt als ich absteige und auf ihn warte, fahre ich mit ungutem Gefühl zurück. Ich sehe Andy über das Rad gebeugt, an der hinteren Gangschaltung herumfummeln; die gesamte Mimik ist stark nach innen verbogen und ragt in die Speichen wenn die Kette auf den innersten beiden Zahnrädern läuft. Eine Reparatur scheint so auf die Schnelle nicht möglich - und der Abend naht. Wann dieser Schaden entstanden ist können wir beide beim besten Willen nicht rekonstruieren. Gott sei dank sind ja offenbar nur die kleinsten Gänge von diesem Schaden betroffen, wenn wir also nicht weiterhin so extremes Gelände bezwingen müssen, müßte es schon noch gehen. Etwa 18:45 Uhr rollen wir durch Otternhagen, weiter geht es in Richtung Bordenau und auf die Leine zu. Irgendwo muß jetzt bald Lager bezogen werden. Schneller als erwartet stoßen wir dann auch auf die Leine - infolge der vielen Regenfälle in der letzten Zeit zu einem gewaltigen Flußbett angeschwollen. Wo sonst Kühe weiden ist jetzt überall Wasser, Weidenzäune und Bäume ragen überall aus den Fluten heraus. Plötzlich erscheint vor uns ein etwa 100 Meter langes, überflutetes Wegstück. Ich überlege nicht lange und fahre hindurch. Beim Treten komme ich zwangsläufig mit meinen Stiefeln unter Wasser, aber kein Wasser dringt in das Schuhinnere. Das sind wirklich tolle Stiefel - leicht, bequem und wasserdicht! Heil auf dem Trockenen angekommen rate ich Andy barfuß durchzufahren. Aber nein, Brüderchen ist der Aufwand zu groß. Wie es sich gehört, bleibt er dann auch an der wohl tiefsten Stelle stecken und muß sich und das Rad abstützen. So sind dann nicht nur die Schuhe sondern auch die Hosenbeine naß! Minuten später können wir dann Lager beziehen. Direkt am (jetzigen) Leineufer schlagen wir um 19:15 Uhr unser Zelt zum dritten Nachtlager auf. Die gewohnten Proceduren laufen ab. Heute gibt es mal wieder Grillwürstchen. Erst kurz vor 21:00 Uhr kriechen wir in unser Zelt. Es ist jetzt schon dunkel. Obwohl unser Lagerplatz romantisch gelegen ist, dröhnen permanente Autogeräusche bis hierher - das nervt natürlich! Hoffentlich kommen wir morgen trotz der Überflutungen an das andere Ufer.


Der Tacho zeigt für den dritten Tag folgende Daten :

Zeit (Brutto) = 09:00 - 19:15 = 10:15 Stunden
(Netto) = = 6:00 "
Fahrstrecke = = 75 km
øGeschw. = = 10,2 "
Gesamtstrecke = = 229 "



4.Tag, Montag 04.04.1988


Heute werden wir von ewigem Hundegebell um 7:00 Uhr geweckt. Dieser entnervende Lärm bleibt denn auch bis zu unserer Abfahrt permanentes Hintergrundgeräusch. Unser morgendliches Ritual ist um 8:45 Uhr abgeschlossen und es kann losgehen. Das Wetter wieder grau in grau und ziemlich kühl. Nach kurzer Fahrt sind wir in Bordenau. Vorbei am Denkmal für den hier geborenen Scharnhorst geht es Richtung Poggenhagen. Ein erster Schreck, die Bundesstraße ist für den Autoverkehr gesperrt! Die Umleitung führt über Neustadt, das wäre aber ein enormer Umweg. Von unserer Fußwanderung erinnere ich aber die hochgelegten Fußwegstege neben der Straße. Also nicht abschrecken lassen und lieber erst mal vor Ort die Lage peilen! Und richtig, dank des hochgelegenen Fußweges können wir die Fluten passieren. Die Straße ist wohl auf gut 200m überspült. Ein einsames Haus ragt aus den Fluten heraus. Türen und Teile des Hofplatzes sind mit Sandsäcken gesichert, trotzdem sieht alles recht wüst aus. An der kleinen Brücke, wo das eigentliche Flußbett verläuft, strömt unter uns ein reißender Fluß. Zu allem Überfluß kommt uns auf dem etwa 50cm schmalen Steg auch noch ein anderer Radfahrer entgegen, da heißt es vorsichtig zu agieren. Durch Poggenhagen hindurch geht es dann nach dem Überqueren der Eisenbahnlinie in zügiger Fahrt entlang des riesigen Fliegerhorstes nach Steinhude, wo wir etwa 10:00 Uhr eintreffen. In einer kleinen Konditorei besorgen wir Kuchen und Croissants. Auf einer Banke in den Anlagen zwischen den Buden vor dem See machen wir dann Frühstücksrast. Zwischendurch können wir uns einer Grobwaschung unterziehen und unsere Flaschen mit Wasser auffüllen. In einer der Buden kaufen wir für ein kleines Vermögen Coladosen. Die Sonne bricht zwar manchmal durch, aber es ist recht ungemütlich, kalt und windig. Länger als eine Dreiviertelstunde halten wir es nicht aus; um 10:45 Uhr geht es dann weiter. Zuerst führt der Weg auf der Uferpromenade entlang. Vor dem großen Kurhaus (oder Kurhotel?) findet sich endlich ein Telefon - funktioniert nur nicht! Es wird langsam Zeit Petra zu verständigen, wenn wir heute Abend abgeholt werden wollen. Weiter geht es nun in Richtung Düdinghausen. Noch geht es ein Stück am Ufer des Steinhuder Meeres, bald aber biegt der Weg rechtwinklig nach Süden ab. Vorbei an dem Wasserschloss erreichen wir Hagenburg. Hier erfahren wir dann auch endlich warum in der Ferne immer wieder Lautsprecherdurchsagen und Hubschraubergeräusche zu hören sind: Die heutige Etappe der Niedersachsenrundfahrt kreuzt unsere Wegstrecke. In sausender Fahrt düsen Radrenner an uns vorbei. Minuten später finden wir dann auch endlich eine Telefonzelle. Schnell informieren wir Petra, auch Robert kommt zu Worte. Allerdings hat er den Grund meiner Abwesenheit offenbar nicht so recht mitbekommen, denn er fragt: "Hallo, Papa, Arbeet?". Nun geht es flugs durch den Laubwald, wo Matthias und ich '87 unser vorletztes Nachtlager aufgeschlagen hatten. Die folgende Steigung nach Düdinghausen hinauf geht gut in die Beine! Diesmal umrunden wir den Berg auf den rechten Wegen. Zuerst am Fuße des Bergrückens entlang bis zu seinem westlichen Ende, dann auf den Kamm hinauf und wieder in östlicher Richtung zurück. Ohne das frische Grün in dem wir diesen Ort '87 kennengelernt haben und mit völlig vermatschten Wegen (auch hier intensiver Holzeinschlag) ist der Berg gar nicht mehr so romantisch. Die Sonne ist leider auch schon wieder verschwunden, der Himmel ist grau in grau. Obwohl es in der letzten Nacht gar nicht so kalt war, weht hier ein unangenehm kalter Wind und schon nach kurzer Rast auf mächtigen Buchenstämmen zieht es uns weiter. Während der Abfahrt vom Berg sehen wir im Süden bereits den langen Bergrücken des Deisters liegen. Als Endpunkt der Tour soll die Cecilienhöhe oberhalb von Bad Nenndorf erreicht werden. Matthias wird dort gegen 17:00 Uhr eintreffen und uns abholen. Ohne den langwierigen Umweg unseres Fußmarsches durch die Wiesen und Auen erreichen wir recht schnell den Ort Idensermoor am Mittellandkanal. Auch dieses Jahr geht es hier in den Gasthof "Zum grünen Frosch", auch diesmal werden die Hände gewaschen und die Vorräte an Coca Cola aufgefüllt. Die Sonne kommt jetzt immer mal wieder hervor; an windgeschützten Stellen ist es dann recht angenehm. Wir sitzen jetzt gemütlich am Kanal und verspeisen unsere restlichen Vorräte. Den Wanderweg haben wir, wie auch schon das letzte Mal, kurz vor dem Kanal verloren - aber an der Kanalbrücke werden wir ja wieder auf ihn stoßen. Gemütlich geht es dann weiter, es ist jetzt erst kurz nach 13:30 Uhr - wir haben noch viel Zeit. Über den Kanal und durch den Wald sind wir auf gut fahrbaren Wegen bald in Haste. Wieder geht es in den Wald hinein. Als wir dann die Bundesstraße überqueren wollen, bietet sich uns ein ungewöhnliches Bild: Eine große Schafherde kommt auf der Straße auf uns zu. Vornweg der urige (junge) Schäfer mit langem Rauschebart führt ein Pferd hinter sich her, es folgen ein paar Ziegen und dann die große Herde mit vielen Lämmern. Rundherum hasten noch mindestens drei Hütehunde und halten geschickt die Herde zusammen. Als Schlußlicht folgt dann ein uralter VW-Bus, am Steuer die Schäfersfrau. Wir schließen uns der Herde an und schieben die Räder über die überall mit Schafskot bekleckerte Fahrbahn. Doch bald überholen wir den Treck. Ausgeruht brausen wir jetzt wieder durch den Wald. Das letzte Stück unseres heutigen Tourabschnittes geht ja bekanntlich endlos über asphaltierte Feldwege, immer die endlose Autobahn und den Deister vor Augen. Was uns '87 im leichten Nieselregen und dunklen Wolken schier endlos vorkam, radelt sich heute gemütlich in wenigen Minuten. Durch Waltringshausen hindurch, geht es dann eine laaaange Steigung hinauf zum Café Deisterblick. Bevor es dann in einer zweiten, noch längeren Steigung auf den Galenberg hinaufgeht, machen wir bei schönem Sonnenschein von 15:15 Uhr bis 15:45 Uhr auf einer Bank, jetzt schon in Bad Nenndorf Rast. Zur Cecilienhöhe ist es mit dem Radl jetzt wohl nur noch eine gute Viertelstunde. Richtig, Punkt 16:00 Uhr sind wir oben! Beide haben wir auch diese dritte Steilstrecke geschafft, es war wirklich kaum zu schaffen. Dummerweise muß ich beim Kampf mit der Steigung den Tacho gelöscht haben, so wird es leider für den heutigen Tag weder Fahrzeit noch øGeschwindigkeit geben. Eines steht jedoch fest, wir haben in den 4 Tagen unserer Tour insgesamt 277 km durch vielerorts kaum gangbares, und erst recht nicht mit einem normalen Fahrrad bezwingbarem Gelände und matschige Pfade und Feldwege zurückgelegt. Nachdem die matschigen Fahrräder auf Dias verewigt worden sind müssen wir noch eine ganze Weile auf unsere Abholer warten. Da auf der Autobahn so sehr viel Betrieb ist, kommen Matthias und Ralf Land doch eine ganze Zeit später als vereinbart. Gemeinsam gehen wir dann in das Matthias und mir wohlbekannte Lokal und verspeisen genüßlich jeder einen Zigeunerspieß. Derart gestärkt geht es dann in gemütlicher Fahrt nach Hause.


Du bist Leser Nummer seit dem 23. Juni 1998

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