Radtour 18.-21.Mai 1997 Eschwege-Hünfeld
Nachdem 1996 wegen Renovierung und Umzug keine Radwanderung stattfand, soll nun endlich wieder „aufgesattelt“ werden! Andy und ich haben das Kartenmaterial schon vor Monaten bei Dr.Götze besorgt (ein ziemliches Drama), und die Route des Europawanderweges E6 als Fortsetzung der Fahrten Hamburg-Altenau (1991) und Altenau-Eschwege (1994) steht ebenfalls bombenfest. Das Fahrrad wurde gründlich überholt, alle Ausrüstungsgegenstände sind verpackt und bereitgestellt. Da Eschwege nicht allzu fern scheint, lassen Mutti und Vati es sich nicht nehmen, uns (d.h. Tina, Andy & mich) bei der Hinfahrt zu begleiten.
Sonntag, 1.Tag
Man kennt es schon - wenn man einmal besonders gründlich schlafen möchte, gelingt es um so weniger. Diesmal stört ein hartnäckig wütendes Gewitter empfindlich die Nachtruhe und führt zu einer gewissen Besorgnis über das Wetter (kein Wunder - gestern Nacht um 23:00 Uhr zeigte das Thermometer noch 23° - leider scheinen sich die letzten Wettervorhersagen zu bestätigen...). Nichtsdestotrotz ist es um 7:15 Uhr wieder trocken, blau und nur noch ein bißchen diesig, die Temperatur beträgt 20°. Schnell wird noch einmal das eigene sowie das Gewicht der Packstücke kontrolliert - beides läßt einen erschauern. Obwohl ich meine, diesmal nun wirklich nur das notwendigste eingepackt zu haben, summiert sich alles zusammen auf 25 kg (Packtasche links ohne Lebensmittel (ca.): 6 kg, rechts 5 kg, Lenkertasche 3 kg, Zelt/Schlafsack/Luftmatratze 5 kg, Lebensmittel für 2 Tage inkl. Wasser = 6 kg. Pünktlich, wenige Minuten nach 9:00 Uhr fahren wir los Richtung Andy. Dort stellen wir fest, daß Andy's Fahrradträger keine variablen Befestigungspunkte aufweist - die Basisträger müssen noch einmal versetzt werden (das geht zum Glück schnell und ohne mein Rad wieder runter zu wuchten). Es ist jetzt schon erstaunlich warm, und vom Gepacke läuft uns schon der Schweiß übers Gesicht. Nachdem Mutti und Vati eingetroffen und der Audi mit Andy's Gepäck befrachtet wurde, rollen wir wie geplant um 10:00 Uhr Richtung Autobahn. Die Autobahnfahrt verläuft, abgesehen von einem Beinahe-Crash an der Behelfsausfahrt der Raststätte Brunautal durch einen dort herausschießenden Sonntagsfahrer, ohne größere Ereignisse, und Eschwege wird gegen 14:00 Uhr erreicht, hier herrschen 27°. Nach Betankung des Golfs für die Rückfahrt finden wir problemlos den Ausgangspunkt für unsere Tour südwärts der Stadt, an einem Aussichtspunkt oberhalb der Bundesgrenzschutz-Kasernen bei Friedrichsruh. Leider stehen Bänke und Tische in der prallen Sonne, aber es läßt sich so ein bequemes Picknick durchführen. Immerhin weht ein leichtes Lüftchen. Entgegen meiner Absicht schlage ich ziemlich zu (4 Brötchen & diverse Kuchen, Kaffee und einen Pappbecher lauwarmes Bier). Obwohl die letzte Fahrt zwei Jahre zurückliegt, geht das „Aufrödeln“ des Rades wie im Schlafe vonstatten. 15:50 Uhr trennen wir uns von unserem „Tross“; Mutti und Vati werden just zu diesem Zeitpunkt von einem gesprächigen Spaziergänger im Schnack aufgehalten. Es scheint immer noch die Sonne, obwohl in einiger Entfernung überall um uns herum gewitterträchtige Wolkentürme aufragen. Um 17:05 Uhr befinden wir uns in der Nähe des (oder auf dem?) Hundsrück (477m), der zunächst auf brachialen Trampelpfaden, dann die Markierung mißachtend auf breiten Schotterwegen erreicht wird. Heuer kommen uns die Räder sogar beim Schieben wie Bleikarren vor. Überrascht werden wir von einem Segelflugzeug, das plötzlich leise surrend wenige Meter über unsere Köpfe und die Baumkronen hinübergleitet. Wir sichten anschließend noch weitere Segler, die in der Thermik enge Kreise um die Bergkuppen ziehen (unweit von hier befindet sich ein Segelflugplatz). Mein Federthermometer, das mir trotz einiger Justierungsversuche nicht sehr vertrauenswürdig scheint, zeigt jetzt 29°; wir vernehmen in der Ferne ein permanentes Gegrummel und der Himmel nimmt zusehends dunkelgrau-bleierne Farbe an. Es geht weiter auf „eigenmächtigen“ Wegen zur Pass-Straße Röhrda-Weißenborn (17:15 Uhr), danach, den ungeschriebenen Europawanderweg-Gesetzen folgend, vorbei am Forsthaus Hundsrück, wieder steil hinauf - natürlich schiebend - zum Schieferstein (488m) mit Schiefersteinhütte (17:55 Uhr). Dort folgen wir dem Weg durch das Naturschutzgebiet Graburg über die Rabenkuppe (515m) zur Erikahütte hoch oberhalb des Ortes Weißenborn. Es ist jetzt 18:40 Uhr, und wir ahnen noch nicht, daß wir heute nicht mehr weiter kommen. Das Donnern wird jetzt immer schlimmer, in der Nähe zucken Blitze. Mittlerweile ist es auch schon so dunkel wie sonst erst 22 Uhr. Unsere Laune hebt das nicht gerade. Mickrige 14,3 km wurden bislang zurückgelegt. Das bereits einige Minuten währende Nieseln, das unter dem Blätterdach bisher nicht weiter auffiel, geht jetzt in handfesten Regen über (nach weniger als 3 Std. ereilt uns also diesmal bereits unser Schicksal...). Da momentan an eine schnelle Weiterfahrt so recht nicht zu glauben ist, wird aus Langeweile und Spaß die kleine steinumsäumte Feuerstelle in der Hütte mit hastig eingesammeltem Holzstückchen in Betrieb genommen, was leider nur mit Hilfe von Esbit gelingt. Im unvermeidlichen Qualm des Feuers werden Getränkedosen gekippt, ich verschlinge nach und nach die Bifi-Würstchen. Mittlerweile ist es 19:30 Uhr, der Regen steigert sich weiter und ein Gewitter mit zuckenden Blitzen tobt drohend um uns herum. Weißenborn ist durch die Regenwand kaum noch auszumachen, langsam gehen dort die Laternen an. Der Zeitpunkt, an dem es sich noch gelohnt hätte, wieder aufzusatteln, streicht langsam vorbei. 20:15 Uhr. Man könnte eigentlich froh sein, hier in dieser Hütte zu sitzen - es schüttet inzwischen so wie '94 auf dem Weg zum Hörne. Zwischendurch nutze ich den Regen für eine kleine Oberkörper-Dusche. Andy setzt den Esbitkocher in Betrieb und schmurgelt sich ein kleines Gericht, ich habe zu solch einem Aufwand nach Würstchen und Apfelmuß keinen Antrieb mehr. Nachdem das Feuer mit Hilfe des sich schnell im Regen füllenden Apfelmußglases abgelöscht wurde, breiten wir unsere Schlafsäcke bereits 21:15 auf den schmalen Sitzbänken aus; wegen des Donnerns und Blitzens komme ich aber noch lange nicht so richtig zur Ruhe. Im Radio hören wir Horrormeldungen von überschwemmten Straßen und voll-laufenden Kellern. Hoffentlich kommen die „Hinbringer“ noch heil nach Hause!
Fahrstrecke 14,3 km
Nettofahrzeit 2:09 Std.
Geschwindigkeit 6,5 km/h
Gesamtstrecke 14,3 km
Montag, 2.Tag
Wider erwarten scheint morgens um 06:50 Uhr die Sonne, das Thermometer zeigt 15°C. Der Wald dunstet die Feuchtigkeit aus. Für mich war die zurückliegende erste Übernachtung - wie meist - eine Qual: der Schlafsack erwies sich als viel zu warm, der Reisverschluß ließ sich nicht von unten öffnen und vier von sechs Kammern meiner Luftmatratze sind jeweils kurz nach dem Aufpumpen bereits wieder leer! Außerdem dringt gelegentlich lautes Schnarchen von Andy herüber. Wir beschließen, nicht an diesem Ort zu frühstücken, daher können wir bereits nach der „Rekordzeit“ von einer Stunde gegen 07:50 Uhr „anrollen“. Wir schießen einige Fotos vom Spiel der Sonnenstrahlen im aufsteigenden Dunst und kurven auf aufgeweichten Wegen weiter durch den dichten Wald. 08:20 Uhr gibt es an einer völlig überfluteten Wegbiegung an einem kleinen Steinbruch aber endgültig kein Vorankommen mehr. Hier wäre jeder Versuch sinnlos, also wenden wir. Wenige Meter zurück finden wir sogleich eine alternative Wegführung, die sich hernach sogar als Abkürzung erweist. Der lehmige, helle und steinige Weg, den wir jetzt zum Glück hinabrollen, erinnert uns irgendwie an das Wimbachgries... Plötzlich öffnet sich der Wald zu einer kleinen Lichtung, und 12 Jung-Kühe kommen sofort neugierig und interessiert heran (08:45 Uhr). Als wir fortfahren, bewegt sich die ganze Herde noch ein Stück mit, mehr oder weniger im Schlamm ausglitschend, bis der nächsten Zaun sie abrupt stoppt. Die jetzt erstmalig wieder richtig durchbrechende Sonne bewirkt hier ohne den Schutz der Bäume sofort brütende Wärme. Etwas vom Weg ab, zu früh die B7 erreichend, kommen wir um 09:00 Uhr ins Fachwerkdorf Rittmannshausen. An einer kleinen Anlage mit Bänken, funktionsfähigem (!) Brunnen und Telefonzelle vor einer alten Kirche (ehemals Wehrturm) gefällt es uns so gut, daß wir sofort beschließen, unser Frühstück hier abzuhalten. Ein älterer Schlesier, der uns schon eine Weile vom Haus gegenüber beäugte, kommt zu einem Klönschnack herüber, enttarnt uns sofort anhand unseres „Dialektes“ als Norddeutsche und gibt einige Schwänke aus seiner Jugendzeit, die sich natürlich u.a. im Krieg abspielte, zum Besten. Ca. 09:40 Uhr brechen wir gutgelaunt wieder auf. Unmittelbar oberhalb von Rittmannshausen passieren wir einen idealen potentiellen Übernachtungsplatz: eine kleine, ebene Wiese mit Grillanlage und Schutzhütte; von der Entfernung her hätten wir diesen Ort unter besseren Wetterbedingungen gestern spielend erreicht! In einer Waldabfahrt gibt es einen Lacher, als ich in merkwürdiger Eleganz ungeplant mein Rad über den Lenker hinweg Richtung Waldboden verlasse. Nach Verpassen einer Weggabelung hinter Lüderbach, von wo aus Tina angerufen wird, endet der Weg um 10:50 Uhr an der ex „Lüderbach U.S.-Army Station“, einer DDR-Bespitzelungs-Station aus den Zeiten des kalten Krieges. Von diesem Hügel hat man einen herrlichen Ausblick auf Ifta, unmittelbar hinter der ehemaligen Grenze. Nach ein paar schiebenden Umwegen über Ackerwege entlang von Rapsfeldern gelangen wir, das von Buttlar'sche Gestüt (mehrere alte Fachwerkhäuser) umfahrend, nach Altefeld. Hier wird auf einer Rundbank unter einem Baum eine fünfminütige Kurzpause zwecks Filmwechsel etc. eingelegt. Am Ortsausgang wird im Hotel St.Georg die Gelegenheit zur Ergänzung der Getränkevorräte (Apfelsaft) ergriffen. Um 12:45 Uhr passieren wir eine seltsame Ansammlung aus Silos, Hallen, Bauernhäusern, Ställen und einem Bilderbuchschloß namens Gut Hohenhaus. Etwas später, ca. 8 km vor unserem nächsten Ziel Nentershausen, verlieren sich jegliche Kreuze; der Beschreibung im Führer können wir beim besten Willen nicht mehr folgen. Aus großer Höhe beobachten wir ein Wirrwarr aus Autostraßen und Kreuzungen, welches auch mit Fernglas, Karte und Kompaß nur schwer einzuordnen ist. Nachdem wir uns mühsam zu einer Straße „vorgekämpft“ haben, beschließen wir, dieser bis auf Weiteres zu folgen. Von den folgenden 7 km sind mindestens 2-3 km bergauf schiebend zu bewältigen, bei stechender Sonne (momentan läßt sich keine Wolke blicken...). Andy ist schwer genervt und muß gelegentlich mal stehenbleiben, mir geht es allerdings auch nur etwas besser. Die als Belohnung erhoffte Abfahrt nach Nentershausen kann nicht genutzt werden, weil schon weit vorher zur linken die eindrucksvolle Burgruine Tannenberg zum Vorschein kommt. Hier kreuzen wir auch wieder den allerdings nahezu in Gegenrichtung führenden Wanderweg. Die Burgruine ist von unserer Position aus nur sehr mühsam, über steile, zugewachsene Pfade, zu erreichen, aber dieses für die Mittagspause auserkorene Zwischenziel wollen wir nun partout nicht auslassen. 15:15 Uhr treten wir die Pause etwas verspätet an. Im sonnendurchfluteten Innenhof der Burg befindet sich entgegen unserer Erwartung zwar keine einzige Sitzgelegenheit, immerhin gibt es aber an der Kasse des hier befindlichen kleinen Heimatmuseums Getränke, die wir jetzt auch dringend gebrauchen können. Mit je 4 0,33 Ltr.-Flaschen übertreiben wir es denn allerdings etwas. Ich vernichte die Reste meiner angebrochenen Schoka-Kola und breche auch noch die Blockschokolade an; ein recht fragwürdiges Mittagsmahl. Gegen 16:00 Uhr treibt es uns zum Aufbruch, nach kurzer Zeit wird an der Hauptstraße der rechte Weg wieder eingeschlagen, der uns nur selten bergauf durch schöne Wälder und Täler zum Hof Bellers (17:15 Uhr) führt. An einem kleinen Bach reinige ich Beine und Arme von der dicken Staubschicht. Als Andy auch gerade damit beginnt, stört uns ein wildgewordener junger Jagdhund, der völlig durchgedreht bellend irre umherhetzt, die hilflosen Schreie und Pfiffe seines Herrchens beständig ignorierend. Wir können gerade noch unbehelligt aufsatteln, wobei der Hund wie befürchtet neben unseren Rädern entlang hetzt und uns fast in die Räder gerät. Allmählich sauer werde ich, als der Hund schließlich noch zähnefletschend mein Bein vollsabbert. So müssen wir diesen eigentlich schönen Flecken bereits nach 15 Minuten wieder hinter uns lassen. Weiter geht es durch ein besonders heimeliges Tal in den Ort Wildeck, der seinem Namen alle Ehre macht. Diese Stätte besteht nur aus wenigen Häusern, dem ehemaligen Jagdschloß und einem großen Park mit seltsamen Obelisk und Grillplatz. Ein kleiner Teich mit Kiosk wird zu einer weiteren Versorgung mit Trinkbarem und einer kurzen Pause genutzt. Die haben wir auch nötig, den hinter Wildeck geht es bei zunächst etwas unklarer Wegführung (mehrere andere Radler schlagen andere Wege Richtung Autobahn ein) in schweißtreibender Schieberei steil über den Taubenberg (?) hinweg durch dichten Wald. 18:00 Uhr ist die Autobahn schon zu hören, und 18:30 Uhr ist die Unterführung der Autobahn A4 (in Höhe der Abfahrt Hönebach/Wildeck/Bebra) erreicht. Hinter dem Tunnel lassen entweder die landschaftlichen Reize oder aber unsere Aufnahmefähigkeit nach, jedenfalls gefällt uns die Landschaft im weiteren Verlauf zunächst nicht mehr so sehr. Durch Hönebach hindurch verläuft der Weg weiter durch den Wald in Richtung unseres geplanten letzten Zieles für heute, dem unmittelbar an der Autobahn gelegenen „Nadelöhr“. Hierbei passieren wir die in der Karte verzeichnet Freizeitanlage Zollstock über einige nicht dokumentierte Straßen-Schlenker um 19:40 Uhr. Diese angebliche „Freizeitanlage“ erweist sich als Gedenkstein mit unzusammenhängenden Inschriften, 4 Bänken drumherum und einem überquellenden Mülleimer! Nach diesem Witz ziehen wir es vor, nicht 6 km durch den Wald, sondern ca. 2½ auf bequemer Straße zum Nadelöhr zu radeln, einem merkwürdigen, historisch bedeutsamen Platz unmittelbar an der Autobahn (dem Verlauf einer ehemaligen Heerstraße?), der bereits 1579 erwähnt wird (19:55 Uhr). Kriecht man durch den dort aufgestellten hohlen Stein, wird man angeblich vor Krankheiten bewahrt - also zwänge ich mich einmal hindurch. Dem Opferstock für die Hersfelder Waisenkinder hinterlassen wir allerdings keine Groschen. Nachdem sich dieser Ort definitiv überhaupt nicht für eine Nächtigung eignet, sind wir froh, in dem Schilderwald auch mal wieder ein Kreuz zu entdecken (der Führer hält sich mit seinen Wegbeschreibungen leider sehr bedeckt). Immerhin führt der Weg zunehmend von der Autobahn weg. In der Umgebung der Hammundeseiche wird schon wenige Minuten später aus Gründen, die keinen Aufschub mehr dulden, ein erneuter Halt fällig. Das ehemalige Dorf aus dem 10. Jhrh. wurde bereits 1312 als verlassen gemeldet, erst 1970/72 stieß man auf die Grundmauern der ehemaligen Dorfkirche aus 1141 und andere historische Überbleibsel, auf denen wir jetzt sitzen und die kurzfristig als Schlafplatz ins Auge gefaßt werden. Wir fahren hier noch ein bißchen herum und sichten u.a. auch die „Dicke Eiche“. Da jetzt nur noch eine kurzes Waldstück vor dem nächsten größeren Ort liegt, halten wir an diversen Stellen und „schwärmen“ zur Lagerplatzsuche aus - leider ohne Erfolg, da uns nichts so richtig zusagt. So bleibt uns nichts anderes übrig, als doch noch Friedewald zu durchqueren und die Hoffnung in den dahinterliegenden Dreienberg zu setzen. Diesmal ist uns das Glück auch wirklich hold - 21:30 Uhr gelangen wir zum etwas oberhalb und außerhalb gelegenen Platz des Schützenvereins von Friedewald v. 1966, der an einem Montag zu dieser Uhrzeit natürlich völlig verlassen daliegt. Angesichts des ebenen Rasens sowie der zur Brotzeit einladenden Tische und Bänke gibt es keine zwei Meinungen und in aller Eile werden die Zelte aufgeschlagen. Parallel wird mit der Zubereitung der Pfannengerichte begonnen; zunächst gibt's Bauernfrühstück mit Barbecue-Sauce, anschließend Rösti (letzteres weniger geeignet, da die Zubereitung zu lange dauert). Dazu werden die letzten 3 Getränkedosen im Nu gekippt. Mittlerweile ist es fast dunkel und die Taschenlampen versehen ihren Dienst. Die Autobahn A4 ist in der Ferne zu sehen, aber nicht zu hören. Um 23:10 Uhr ist das übliche Gerödel abgeschlossen und die Zeltruhe beginnt. Der Wetterbericht für Dienstag und Mittwoch ist schauerlich („...kalt und verregnet...).
Fahrstrecke 64,9 km
Nettofahrzeit 8:05 Std.
Geschwindigkeit 8,0 km/h
Gesamtstrecke 79,2 km
Dienstag, 3.Tag
Um 07:10 Uhr erwache ich, kurz darauf beginnt das Gepacke (man hat dann irgendwie doch keine Ruhe mehr...), 08:00 Uhr sitzen wir (noch) gutgelaunt am „Frühstückstisch“. Die blauen Himmelsabschnitte weichen zusehends einer lockeren hohen Bewölkung, es sind ca. 18°C. Die Wettervorhersagen sind gemischtwürzig. Nach eingehendem Kartenstudium bemißt sich unser Rückstand jetzt auf ca. 50 km, so daß das Erreichen von Coburg bereits fraglich erscheint. Mit weiteren Defiziten ist zu rechnen, denn die enormen Steigungen sind wohl von uns unterschätzt worden. Wir wollen uns aber keinesfalls tagsüber schon zu Hause mit verfrühten Hiobsbotschaften melden, frühestens abends. Schön wäre es, noch die Wasserkuppe in der Rhön zu erreichen! In dieser leicht demoralisierten Stimmung kommt der ca. 9:00 Uhr einsetzende Regen „gerade richtig“. Da ist es ja diesmal richtig passend, daß wir noch nicht losgekommen sind. Unter dem Vordach des Schützenhaus-Eingangs wird mit Sack und Pack Schutz gesucht, während der Regen zu einer wahren Wassergewalt anschwillt; sofort verziehen sich die Bergkuppen hinter einer grauen Nebelsuppe. Um 9:30 Uhr wagen wir den Aufbruch, aber nach wenigen hundert Metern bergab auf überschwemmten Wegen steigert sich der Regen erneut zu Sturzbächen und wir hetzen zu unserem eben verlassenen Refugium zurück, um weitere Minuten den Naturgewalten zuzuschauen. Bei diesem kurzen „Ausbruchsversuch“ sind bereits fast alle Ausrüstungsgegenstände aufs Stärkste in Mitleidenschaft gezogen worden! Um 9:55 Uhr wagen wir den zweiten Versuch - diesmal mit Erfolg. Schon nach einiger Zeit wird uns unter den Regenklamotten zu warm, sie werden bald nach mehrmaligem Aus und An wieder eingepackt. Zunächst geht es über die dunstige Kuppe des Dreienbergs, dann über erträgliche Waldwege bis zu einer Baude, neben der eine muntere Quelle sprudelt; dies wird sogleich zu einer Trink(?)wasser-Ergänzung und zum Reinigen des Kochgeschirres genutzt (10:25 Uhr bis 10:40 Uhr). Am Ausgang des Dreienbergs nennen Schilder eine Entfernung von 16 km zu unserem nächsten Zwischenziel mit dem merkwürdigen Namen Schenklengsfeld; nach den Angaben unserer Tourenbeschreibung rechneten wir mit höchstens 11-12 km, da die Gesamtstrecke Friedewald-Schenklengsfeld dort mit lediglich 14 km angegeben ist. Da wir wenig Lust haben, die Angaben des Führers auf die Probe zu stellen, beschließen wir, über Lautenhausen/Hillartshausen auf der Straße zu fahren, und so den sicherlich beschwerlichen Weg über den Landecker Berg links liegen zu lassen. Nach einigen anfänglichen Steigungen geht die Fahrt gut von statten, nach nur 6 km ist Schenklengsfeld dann schon erreicht. Den erhofften Morgen-Kaffee gibt's hier nicht, „nur“ Plunder und Laugenbrötchen sowie Getränke für die kommenden 26 km nach Hühnfeld werden eingekauft; der Aufenthalt hier nimmt auch schon wieder fast eine halbe Stunde in Anspruch (11:35 Uhr bis 12:00 Uhr). Der Ort wird entlang der 1000jährigen Linde verlassen (?). 13:30 Uhr stehen wir am Abzweig nach Soislieden, nach äußerst quälender - teils schiebender - Umrundung des Soisberges, vorbei an güllegeschwängerten Feldern. Für den steil-steinigen Aufstieg zum Soisbergturm fehlt uns momentan jeglicher Antrieb. An einigen Feldern packt mich erstmalig lästiger Heuschnupfen. Der Himmel zieht schon wieder mal dicht, eine nicht zu kalte Briese frischt auf. Nach 10 Minuten geht's weiter, wobei wir den wirren Wegbeschreibungen nicht mehr zu folgen vermögen, was uns statt nach Unterufhausen nach Hohenroda-Mansfeld, einige Km östlich, führt. Auf der Straßenpassage Richtung Eiterfeld werden wir am vermeintlichen Abzweig nach Unterufhausen (Kreuz-Markierung) von einer wüsten Regen- bzw. Hagelfront erwischt. Während Andy versucht, sich irgendwo an der Straße den Poncho überzuwerfen, rase ich wie ein Besenkter den Wanderweg hinein bis zu einem Knick aus Dornenbüschen. Hier decke ich blitzartig die Packtaschen ab und verkrümle mich mehr schlecht als recht unter meinem Poncho. Ein Teil des rasenden Infernos wird tatsächlich durch die dürren Äste hinter mir abgefangen. Bald stößt Andy, stark durchnäßt, zu mir und wir warten noch ca. ½ Stunde gemeinsam auf das Ende des Regens, erst dann kann die Fahrt fortgesetzt werden - unsere Stimmung ist nun allerdings endgültig verdorben. Der besagte Weg führt uns allerdings wieder nicht nach Ufhausen, sondern diesmal nach Soisberg, von wo aber direkt die Straße Richtung E6/Großentaft über Treischfeld genommen wird. Hier schaffen wir es leider nicht, die Nerven zu behalten und vereinbaren mit Tina, die im Büro erreicht wird, die Abholung an der A7 in Oberrombach, Anschlußstelle Hünfeld/Schlitz um 19:30 Uhr und somit das Ende der diesjährigen Tour. Eine ähnliche Möglichkeit würde sich in den nächsten Tagen nicht mehr bieten, aber so richtig begeistert sind wir beide über dieses schon wieder einmal unrühmliche Tourenende nicht. Wie zum Hohne scheint nach dem Gespräch auch schon wieder die Sonne. Ebenso lustlos, wie wir nun unsere Fahrt durch teilweise schöne Landschaft fortsetzen, werden die Aufzeichnungen geführt. Um 18:00 stehen wir auf der Überführung des Wanderweges X3 über die B27 hinter Hünfeld. Seit dem „Abholungsanruf“ riß der Himmel zusehends auf, jetzt brezelt die Sonne durch ein riesiges „blaues Wolkenloch“ auf uns herunter. 19:00 Uhr verlassen wir nach einer kleinen Eis-Pause das Freizeitgebiet Sankt Hubertus mit Fischteichen, Golf- und Campingplatz etc. bei leichtem Nieselregen, 19:25 Uhr ist die Fahrt in Oberrombach beendet. Wir postieren uns am Ortseingangsschild (aus Richtung Autobahnabfahrt) in Sichtweise einer Shell-Tankstelle, die desöfteren zur Versorgung angesteuert wird, und eines Motels. Hier beginnt nun die schlimmste Warterei, die je im Zuge einer Radtour-Abholung stattfand, und die sich auch nachträglich mangels Aufzeichnungen nicht mehr realitätsnah schildern läßt. Im Laufe der Stunden sehen wir jedenfalls die Sonne untergehen, die Leuchtreklame des Motels erlöschen und die Tankstelle schließen. Die Dorfjugend rast mit aufgemotzten Opels durch die Gegend. Jedes Paar Scheinwerfer, daß sich von der Autobahn nähert, wird hoffnungsvoll (teils mit Fernglas) verfolgt. Da wir uns diese Verspätung schon nicht mehr erklären können, werden „Suchschleifen“ durch Michelsrombach jenseits der Autobahn und in den nicht vorhandenen Ortskern von Oberrombach gefahren. Außer anheimelnd beleuchteten Restaurationen wird dort aber natürlich nichts gesichtet. Ca. 22:00 Uhr müssen wir uns Gewißheit durch einen Anruf bei Tina's Eltern verschaffen, ich selbst bin aber zu besorgt, um diesen Anruf durchzuführen. Gott sei Dank kommt Andy aber mit „beruhigenden“ Nachrichten zurück - Tina hat sich zwischenzeitlich per Handy eines freundlichen Mitmenschen aus einem Monsterstau zu Hause gemeldet, und wir sollen bis zu ihrer Ankunft hier stur ausharren. Das hat natürlich nun zu unser aller Glück noch vollkommen gefehlt - mitten in der Woche eine stundenlange Vollsperrung der Autobahn! Um 23:35 Uhr schließlich erscheint Tina endlich - leider sind wir mittlerweile alle unendlich müde und gestreßt, Essengehen kommt aufgrund der späten Stunde auch nicht mehr in Frage. Nach dem Aufrödeln der Räder und des Gepäcks quälen wir uns über die nächtliche Autobahn, wobei wir 4 Raststätten zwecks Kaffee- und Cola-„Betankung“ ansteuern. Um 06:00 Uhr wird Andy zu Hause abgesetzt, 06:25 sind wir in Rissen, wo Tina sofort das Bett ansteuert und ich zunächst noch mit dem letzten Tropfen (!) auf die Jet-Tankstelle rolle...
Fahrstrecke 53,5 km Nettofahrzeit...........5:28 Std.
Geschwindigkeit 9,7 km/h Gesamtstrecke..........132 km